Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
überholen. Er tauchte aus den Schächten der Untergrundbahn irgendwo zur Straße hinauf, sah Häuser, Häuser, Menschen, Menschen, endlos. Er durchschritt den langen Tunnel, der mitten in der Stadt unter der Erde hinführte, immer erfüllt von raschem, beschäftigtem Volk, das gespannt darauf lauerte, ob es am andern Ende seinen Anschlußzug finde. Er sah, wie die Millionen Einwohner dieser Stadt nicht gleich den Leuten seiner Heimatsiedlung schwatzend an den Ecken herumstanden, sondern wie sie selbstverständlich, eilig, doch nicht wichtig ihren Geschäften nachgingen. Er nahm wahr die menschenwimmelnden Arbeiterviertel, die schwankenden Autobusse, die Warenhäuser. Die riesigen, lichtprahlenden Paläste der Unterhaltung, Cafés, Kinos, Theater, zehn, dreißig, hundert, tausend, menschengefüllt. Demonstrationszüge der Rechtsradikalen, von Polizei geleitet, in Windjacken, mit Mützen, mit Fahnen, militärisch formiert, sehr zahlreich. Demonstrationszüge der Linksradikalen, von Polizei geleitet, mit dem Emblem der geeinigten proletarischen russischen Republiken, sechszackiger Stern, Sichel, Hammer, endlos. Er sah die Straßen, die aus der Stadt hinausführten, an die vielenSeen ringsum, in die dürftigen, mit Großstadthäusern durchsetzten Wälder, alle Wege erfüllt von Menschen, Wagen, Autobussen. Er schmeckte genießerisch, der leicht entzündliche Mann, das vielfältige Leben der wimmelnden, sich ihres Daseins sehr bewußten großen Stadt, ihre Ausdehnung, das präzise Funktionieren ihrer Organe.
    Des Abends aß er in einem der prunkvollen, etwas geschmacklosen Speiseetablissements des Westens, zusammen mit tausend andern Menschen. Es gab eine ungeheure Auswahl von Speisen, zubereitet ohne Liebe, doch anständig, nicht billig, nicht teuer. Serviert mit viel Apparat und Aufmachung. Man hielt nicht lange Rat mit dem Kellner, man aß, trank, zahlte. Tausend Menschen saßen hier, nährten sich zweckvoll, ohne Genuß. Schwatzend, Geschäfte machend, Zeitungen lesend, mit Hast schlingend, ohne Freude am Essen. Herr Hessreiter saß an einem Tisch zusammen mit einem Fremden. Er versuchte ein Gespräch. Der Tischgenosse, erstaunt, antwortete kurz, nicht unhöflich; doch Herr Hessreiter sah, daß hier auf ein wirklich gemütliches Tischgespräch nicht zu rechnen war. Er aß träumerisch Austern, Suppe, gekochten Aal, der ihm als Berliner Spezialität gerühmt war. Eine Artischocke. Ein großes Stück saftigen, am Grill bereiteten Rindfleischs. Dann nahm er Käse, Früchte mit eisgekühlter Sahne, Mokka. Er sah Leute kommen, gehen. Er dachte an die vier Millionen Menschen dieser Stadt, die tagsüber zielbewußt und sachkundig ihre Geschäfte betrieben, sich des Abends ebenso zielbewußt, doch weniger kennerisch amüsierten. Seufzend mit diesem kräftig in der Gegenwart strömenden Berlin verglich er sein München. Ach, das Gerede von der Kulturstadt München und dem Wasserkopf Berlin war leider Mißgunst und Blödsinn. In seinem fleischigen, phantasievollen, oberbayrischen Kopf war ein vielfarbiges, romantisches Bild von diesem Stückchen des Globus, gelegen 13 Grad 23 Minuten östlicher Länge, 52 Grad 30 Minuten nördlicher Breite, 73 Meter über dem Meeresspiegel, ursprünglich von Slawen besiedelt und Berlin benannt, jetztausgestattet mit Millionen Schächten, Röhren, Leitungen, Kabeln unter der Erde, mit endlosen Häusern und wimmelnden Menschen auf der Erde, mit Antennen, Drähten, Lichtern, Funktürmen, Flugzeugen in der Luft. So imponiert war er von diesem Bild Berlin, daß er, trotzdem er stark gegessen hatte, während er träumerisch rauchend die Straße dahinging, nicht einmal die zahlreichen Huren beachtete, die den stattlichen, offenbar wohlhabenden Fremden umdrängten.
22
Johanna Krain lacht ohne Grund
    In der Zeitung, auf der ersten Seite, in fetten Lettern, war berichtet, die Tennismeisterin Fancy De Lucca habe, da sie nach ärztlichem Gutachten die volle Gebrauchsfähigkeit ihres drei Tage zuvor gebrochenen Beines nicht mehr erlangen konnte, sich erschossen. Johanna, als sie diese Nachricht las, des Morgens, im Pyjama, beim Frühstück, furchte die Stirn, daß deutlich die drei Falten über der Nase erschienen. Las die Meldung kein zweites Mal. Ihr Wortlaut stand ein für allemal in ihrem Hirn, in den fetten Typen des Berichts, mit der schadhaften Wiedergabe des einen e . Sie faltete die Zeitung wieder zusammen, legte sie ordentlich auf den Tisch. Dann beengte sie die körperliche Nähe der gedruckten

Weitere Kostenlose Bücher