Erfolg
auch früher kommen können.« Und Johanna sagte reumütig: »Sie haben recht, Tüverlin.« Damit, noch ehe die Revue zu Ende ging, entfernten sie sich, unter der Mißbilligung aller, von allen verachtet, selbst vom Feuerwehrmann und vom Bühnenportier, sehr vergnügt.
Es war frisch und angenehm auf der Straße, sie gingen bequem nebeneinander her. »Sie sehen nicht gerade gesund und vorteilhaft aus, Tüverlin«, sagte Johanna. »Sie sollten einige Zeit in Ruhe aufs Land gehen.« – »Natürlich«, sagte Tüverlin mit seiner gequetschten Stimme. »Oder haben Sie vielleicht gedacht, ich schaue mir jede Aufführung dieses Meisterwerks an?« – »Wohin gehen wir eigentlich?« fragte Johanna. »Zu mir natürlich«, erwiderte Tüverlin. »Ich habe aber einen Mordshunger«, sagte Johanna. »Einiges Eßbare wird sich vielleicht auch bei einem durchgefallenen Schriftsteller noch vorfinden«, sagte Tüverlin. »Nach allem Vorangegangenen müssen übrigens Sie das Abendessen zurechtmachen«, fügte er hinzu. »Mit Ihrer Analyse, Tüverlin, braucht man sich nicht lange herumzuquälen«, sagte Johanna. »Was Sie sind, erkennt auch ein blindes Huhn mit bloßem Auge.« – »Was bin ich denn?« fragte Tüverlin. »Ein Lausbub natürlich«, erwiderte Johanna.
Während sie unter solchen Gesprächen seiner Wohnung zuschritten, ging die Revue »Höher geht’s nimmer« zu Ende. Lärmender Beifall stieg hoch. Aber alle wußten, daß dieses Schreien und Händeklatschen nicht von Herzen kam undnichts bedeutete. Nur einer wußte es nicht, er stand, schrie, fand alles großartig, stampfte, war innig erfreut. Ein auffallender Mann mit einem langen, zweigeteilten Bart und tiefliegenden, strahlenden, kleinen, listigen, blauen Augen: Rochus Daisenberger, der Apostel Petrus von Oberfernbach.
Viertes Buch
Politik und Wirtschaft
1
Panzerkreuzer Orlow
Während die andern Berliner Kinos zu dieser frühen Stunde geschlossen sind oder vor sehr wenigen Zuschauern spielen, stauen sich hier die Autos. Schutzleute, Gaffer. Der Film »Panzerkreuzer Orlow« ist schon sechsunddreißigmal gezeigt worden, viermal jeden Tag, sechsunddreißigtausend Berliner haben ihn gesehen. Dennoch sind die Leute erregt, als führte man ihnen heute zum erstenmal etwas vor, worauf die Welt wartet.
Der Minister Klenk, die um ihn Sitzenden groß überragend, denkt nicht daran, sich von dieser Unruhe anstecken zu lassen. Er hat gelesen: ein Film ohne Aufbau, ohne Weiber, ohne Handlung; Spannung ersetzt durch Tendenz. Anschauen muß man sich so was, wenn man schon in Berlin ist. Er wird den Filmjuden nicht hereinfallen auf ihre künstlich gemanagte Sensation.
Ein paar Takte greller Musik, wüst, fortissimo. Geheimakten aus dem Marinearchiv: dann und dann meuterte die Besatzung des Panzerkreuzers »Orlow« vor der Stadt Odessa wegen ungenügender Ernährung. Na schön, sie meuterten also. So was soll schon vorgekommen sein. Als Bub hat er solche Dinge mit Leidenschaft gelesen. Interessant für die reifere Jugend. Der Minister Klenk grinst.
Der Schlafraum der Mannschaft. Hängematten, dicht aneinander. Ein Vorgesetzter, herumschnüffelnd zwischen unruhig schlafenden Matrosen. Das Ganze nicht unbegabt gemacht. Man spürt richtig die schlechte Luft des Raums. Dazu die dumpfe, beklemmende Musik.
Jetzt der Morgen. Matrosen, herumstehend um ein aufgehängtes Stück Fleisch. Sie betrachten es mißbilligend. Immermehr kommen heran, immer andere. Man braucht nicht lange zu riechen, um herauszukriegen, daß es nicht gut riecht. Das Stück Fleisch in Großaufnahme: es wimmelt von Maden. Die Leute scheinen schon öfters derartiges Fleisch gekriegt zu haben. Schimpften. Das ist begreiflich. Der Schiffsarzt wird herbeigeholt, ein etwas mickeriger Herr. Er setzt seinen Kneifer auf, tut seine Pflicht, untersucht das Fleisch, kann es nicht ungeeignet zum Genuß finden. Das Fleisch wird zubereitet. Die Mannschaft weist die Brühe zurück. Schimpft. Triviale Vorgänge, vorgeführt auf einfache Art, ohne Pointierung. Ein Stück faules Fleisch, Matrosen, Offiziere. Keine besonders begabten Offiziere, wie es scheint, doch auch keine besonders schlechten. Durchschnittsmaterial. Wir haben in Bayern kaum besseres. Merkwürdig, daß der Klenk von diesen simpeln Menschen und Begebnissen angerührt wird.
Die Erbitterung auf dem Schiff steigt, man weiß nicht recht wieso. Allein man spürt, es kann nicht gut ausgehen, jeder im Publikum spürt es. Die Herren auf der Leinwand nehmen es nicht ernst
Weitere Kostenlose Bücher