Erfolg
war, fehlte Sinn und Rückgrat des Ganzen; alles fiel in sich zusammen. Das Publikum saß gelangweilt, verdrießlich; viele entfernten sich. Auf der Bühne, in zunehmendem Lärm und Glanz und Wirrsal, spürte man sogleich die hoffnungslose Lähmung. Selbst Benno Lechner, vereinsamt oben auf seiner Brücke, ohne jede Fühlung mit dem Publikum, spürte sie. Er hatte gerechnet, zumindest für ein halbes Jahr ein sicheres Dach zu haben. Daß das da unten mißglückte, bedeutete für ihn, daß seine nächsten Monate unsicher werden und daß er wahrscheinlich genötigt ist, die Hilfe der Kassierin Zenzi zu beanspruchen. Nein, sie war nicht gut eingerichtet, die kapitalistische Welt, saublöd war sie. Ich nehme sie unter den Scheinwerfer, die bürgerliche Welt, dachte er oben auf seiner Brücke, inmitten der stinkenden Wolke von Schmutz, Staub, Schweiß, und er warf sein vieltausendkerziges Licht auf die Menschen, die sich unten zum Finale ordneten: die Mädchen, die nur mit kleinen, künstlerisch entworfenen Trommeln bekleidet waren, die Liliputaner, phantastisch geschmückt, die Akrobaten, die Schauspielerin Kläre Holz, den von seiner Kolik genesenen Pavian. Und während diese alle, eine schillernde Schlußgruppe bildend, vorrückten, pfiff der Beleuchter Benno Lechner in den ungeheuren Lärm des Orchesters hinein verbissen, verächtlich die Internationale. Die Völker sollten die Signale hören, pfiff er vor sich hin, antreten zum letzten Gefecht.
Finster und allein stand Herr Alois Pfaundler. So klar er erkannt hatte, daß ein wirklicher Sieg unmöglich war, hatte er dennoch mit zähem Optimismus damit gerechnet. Jetzt, in nicht vielen Minuten, sah er viele Projekte versinken: Prunkhotels an den Seen, Verpflanzung des Münchner Faschingsnach Berlin. Auch seinen kühnsten, liebsten Plan, von dem er selbst seinen Vertrautesten nicht sprach, den er aber bis heute immer festgehalten hat, den Plan einer Autostraße ins Gebirg. All das hatte zur Voraussetzung den Erfolg der Revue, all das schwamm jetzt hinunter. Finster stand er da; man ging in weitem Bogen um seine böse glitzernden Mausaugen. Er wußte natürlich, daß er allein die Schuld trug; aber er füllte sich mit der Überzeugung, jeder einzelne hier auf der Bühne sei mehr schuld als er. Er machte seinen Schritt so mannhaft wie möglich, ging zu Tüverlin, der allein stand, und sagte mit seiner hellen, fetten Stimme, haßerfüllt: »Da haben Sie es mit Ihrer Literatur . Ich hätte mich auf meinen Riecher verlassen sollen.« Er funkelte ihn an, von unten nach oben, voll äußerster Geringschätzung, ließ ihn stehen.
Seltsam überhaupt, wie jetzt alle, selbst die, die an ihn glaubten, auf Tüverlin mit Widerwillen schauten. Er war die Ursache ihres Unglücks, und rings um ihn war Haß, Zorn, Verachtung. Nur Bob Richards, der Instrumentenimitator, unmittelbar bevor er zum Finale antrat, stellte sich neben ihn, betrachtete ihn, das Gesicht kraus von Skepsis, Überlegenheit, Mitgefühl, und flötete ihm aus seiner gigantischen, mißgeformten Nase süß und weise zu: »Eigentlich ist das ja auch nicht Ihr Genre.«
Jacques Tüverlin begriff ihn nicht recht. Er stand da, abwesend. Er horchte tief in sich hinein und siehe, er ärgerte sich wirklich nicht. Dies war eigentlich schon vor zwei Monaten für ihn erledigt gewesen; verdrießlich war nur, daß es so lang gedauert hatte, bis es auch äußerlich und für alle Welt abgetan war. Er ärgerte sich nicht, und er freute sich nicht; auch die Entladung Pfaundlers verdroß ihn nicht und amüsierte ihn nicht. Wenn er sich genau erforschte, dann erkannte er, daß er wartete.
Auf einmal stand Johanna neben ihm, und es war keine Überraschung für ihn. Erstaunt war er nur, daß sie das Haar kurz trug. Sie sah ihn an. Er war dünner geworden, zerknitterter. Es war deutlich, daß es ihm mittlerweile nicht sehr gutgegangen war. Und Jacques Tüverlin sah sie an, und sie gefiel ihm ausnehmend, und er wußte, es war töricht gewesen, daß er ihr so lange nicht geschrieben hatte. Ein jeder von ihnen erkannte, daß der andere ein Stück Leben abgelebt hatte, nicht sein bestes, und froh war, ein besseres anzufangen.
Die Revue war noch nicht zu Ende. Eigentlich war es auffallend, daß Johanna so schlankweg vor Ende der Aufführung auf die Bühne gekommen war. Aber er fragte sie nicht danach. Vielmehr verfältelte er sein zerknittertes Gesicht stärker und sagte halb verdrießlich, halb spaßhaft: »Da sind Sie endlich. Sie hätten
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