Erfolg
Büfett, schob mechanisch ein Brötchen um das andre in den Mund. War es gut, daß er, kaum aus dem Amt, mit den Wahrhaft Deutschen zu paktieren angefangen hatte? Überall war man verblüfft, daß ein Mann wie er sich zum Agenten der Patrioten degradierte. Was mit denen los war, wußte er natürlich so gut wie die geschwollenen Berliner. Der begeisterte Rupert Kutzner war keine Jungfrau von Orleans. Ein talentierter Organisator war er, ein großartiger Trommler, aber von Geburt ein blühendes Rindvieh. Der andere Pfeiler der Patrioten, der General Vesemann, war durch seine Niederlage im Krieg spinnert geworden. Vorläufig waren in dem großen europäischen Trauerspiel, das vor nunmehr acht Jahren mit dem Ausbruch des Krieges begonnen hatte, die Wahrhaft Deutschen die komische Figur. Das alles sah er klar wie Kletzenbrühe. Dennoch hatte ihn die patriotische Bewegung, auch wenn er sie bekämpfte, angezogen, und er hatte mehrmals erlebt, daß es politisch besser ging, wenn man seinem Instinkt, als wenn man dem Verstand folgte.
Jedenfalls war es großartig, keine Verantwortung zu haben. So absolut wie jetzt war er noch nie Diktator gewesen. Der Kutzner, wenn er sich mit ihm zeigen durfte, fühlte sich geschmeichelt. Der General Vesemann, so herrschsüchtig er war, unterwarf sich nach kurzem, formellem Knurren jedem seiner Vorschläge. Der ekelhafte Toni Riedler war an die Wand gequetscht, unscheinbar, armselig. So was wärmte das Herz. Vor allem aber schmeckte gut die Mordsangst seiner früheren Kollegen, wie sie ihn auf einmal unter den Patrioten sahen. Die Scheißkerle, die hinterfotzigen, die ihn hinausgebissen hatten. Hin müssen sie sein, dachte er das alte Zornwort seines Landes, und er hörte im Innern einige Takte aus einer Ouvertüre, die vor langer Zeit zu einem großen englischen Schauspiel ein großer deutscher Musiker geschrieben hatte, seltsam aufrührende, leise Paukenschläge, in Pausen. Er hatte diese Musik lange nicht gehört und nicht gedacht. Aber inden letzten Wochen hörte er sie immer wieder. Schicksalvolle Paukenschläge, würdig des englischen Schauspiels, das sie einleiteten, und das zum Gegenstand hatte einen großen Herrn des alten Rom, der, hochbegabt, doch noch hochfahrender, vom Volk gestürzt, sich grollend zurückzieht, Unheil heranführend gegen das Vaterland.
Er schob das fünfte Brötchen in den Mund, starrte in den belebten Saal. Alle diese hielten ihn für eine gekränkte Leberwurst, für so was wie einen bayrischen Catilina, der zum Geschwerl läuft, zu den Narren und Brandstiftern, weil er bei den andern nicht mehr ankommt. Vielleicht wird es für sein Land Bayern, das er liebt, wirklich nicht gut ausgehen, daß man ihn zum Geschwerl getrieben hat. Vielleicht aber auch, wenn er seine ganze Kraft hineinschmeißt, geht es dennoch hinaus, und er macht die Narrheit zum Segen.
Und trotzdem war es ein Blödsinn, daß er sich auf die Geschichte eingelassen hat. Da schnorrt er herum bei der norddeutschen Industrie für den Kutzner. Ist das eine Aufgabe für einen Mann wie ihn, dieser Bagage in den Arsch zu kriechen? Es wäre gescheiter, er setzte sich für ein Vierteljahr nach Berchtoldszell, kümmerte sich um seine Jagd, nähme sich ein paar richtige Bücher vor. Es könnte auch nicht schaden, wenn er sich einmal seinen Herrn Filius genauer belinste, den Simon, den Bams.
Otto Klenk belebte sich plötzlich, durchquerte mit zielbewußtem Schritt den Saal, als habe er jemandem etwas ungeheuer Wichtiges mitzuteilen. Ja, drüben in der Ecke, zerstreut und unbehaglich, saß ein einsamer Herr, verwahrlost angezogen. Er schrak auf, als jetzt der riesige Klenk auf ihn zukam, belebte sich, auch er, schaute aus scharfen, sehr wachen, dickbebrillten, zupackenden Augen dem Kömmling entgegen.
Der mächtige Klenk setzte sich zu dem zarten Dr. Geyer, der sich kaum mühte, seine nervöse Erregung zu verstecken, sondern seine Hände flattern, seine Augen zwinkern ließ. Der Klenk begann gemütlich. Wie dem Herrn Abgeordnetendie Stadt Berlin gefalle? Ob er hier auf seine Rechnung komme? Er, Klenk, habe erwartet, der Herr Dr. Geyer werde hier ganz anders gegen die bayrische Justiz loslegen.
Klenk stieß da auf eine faule Stelle. Dr. Geyer war wirklich in Berlin auffallend zahm. Seine Ausführungen im Plenum und in den Ausschüssen waren matt. Der berühmte Anwalt schien eine Niete. Es war, seitdem er München verlassen hatte, eine Art Lähmung über ihm; seine Reden klangen eingelernt, abgeleiert,
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