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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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übertragen. Mr. Potter war interessiert. Man stellte den Lautsprecher ein.
    Aus dem Lautsprecher kamen der Dialog und die Songs der Revue »Höher geht’s nimmer«. Man war im zweiten Akt; Text und Musik, ohne die Schau, kamen allen reichlich albern vor. Fast schämten sie sich vor dem Amerikaner. Allein der schien interessiert, hörte genau zu, ließ sich einige Worte erklären, kombinierte Zusammenhänge. Es ergab sich, daß er, von jenseits des Meeres in dieses Land von Alpenbauern verschlagen, lediglich durch Anwendung unvoreingenommenen, gemeinen Menschenverstandes, aus dem entstellten, entgeisteten, verhunzten Text des Jacques Tüverlin nahe heranfand an das, was Tüverlin ursprünglich gewollt hatte. Für ihn stellte ein Hauch Aristophanes sich wieder ein. Es rückverwandelte sich ihm »Höher geht’s nimmer« in »Kasperl im Klassenkampf«.
    Pfaundler wußte nicht recht, ob er sich freuen, ob er sich ärgern sollte. Es nagte ihn, daß er, wäre er den Absichten Tüverlins gefolgt, die Revue vielleicht doch hätte durchsetzen können. Pröckl, mit finsterer Gespanntheit, hörte auf die Deutungsversuche des Amerikaners, und trotz aller verbissenen Ablehnung erkannte er auf Augenblicke klar und faßlich nah die leidenschaftliche, humanisierte Vernunftgläubigkeit Jacques Tüverlins.
    Nun aber kam die Stierkampfszene; es kam jener Marsch, jene kleine, freche Melodie. Wie in zehntausend Häusern der oberbayrischen Hochebene, so auch in diesem üppigen Raum der Villa Reindl riß sie die Hörer hin, fuhr ihnen in die Glieder. Wie sie den Kommunisten kommunistischer, die Wahrhaft Deutschen patriotischer, den Verbrecher verbrecherischer, den Frommen frömmer, den Geilen geiler machte: so auch bewirkte sie, daß Pröckl sich noch fanatischer an Moskau klammerte, daß Herr Pfaundler ein stilles, heiliges Gelübde tat, er werde München wieder zu der internationalen Kunststadt machen, die es früher war. Der Dreißigjahrdanny aber, zum erstenmal seit dem Essen, nahm die Pfeife aus dem Mund, stand auf und ging näher an den Lautsprecher heran; das sah töricht aus, es erinnerte an ein bekanntes Plakatbild,das einen Hund darstellte, wie er aus dem Schalltrichter die Stimme seines Herrn vernimmt. Der Amerikaner aber lachte über das ganze Gesicht und sagte: »Das habe ich während meiner wichtigsten Unterhandlung im Kreml gehört. Das ist also von Jacques Tüverlin?«
    Dem Kaspar Pröckl gab es einen Riß. Er wußte natürlich, daß man sich in Moskau nicht ausschließlich mit der reinen Lehre und ihrer Verbreitung befaßte, sondern daß man gelegentlich auch aß, trank, hurte, gemeine Musik hörte wie eben den Stierkämpfermarsch. Immerhin schien es ihm verbrecherisch, daß Besprechungen zwischen einem russischen Führer und einem amerikanischen Großfinanzier, die für das Land des Marxismus lebenswichtig waren, diese kleine und freche Melodie zur Begleitung hatten. Er fragte scharf: »Wer im Kreml hat mit Ihnen unterhandelt?« Das Mammut nahm seine Pfeife wieder zwischen die Zähne und beschaute gelassen und neugierig das hagere Gesicht des jungen Ingenieurs, die starken Jochbogen, die tiefliegenden, heftigen Augen. »Ich habe nicht verstanden«, sagte er dann. »Wer mit Ihnen unterhandelt hat«, wiederholte grob, jedes Wort unterstreichend, Kaspar Pröckl. Der Amerikaner kaute fünf oder sechs Namen hervor, die erlauchtesten, von Kaspar Pröckl am meisten verehrten. Dann, anscheinend ohne Hinterhalt, erzählte er von Rußland. Der junge Ingenieur, zu seinem Staunen, sah, daß der Amerikaner nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse und Land und Leute der Sowjetrepublik genau kannte, sondern daß er auch vertraut war mit der Lehre. Das erschreckte Kaspar Pröckl. Gab es das, daß jemand die Lehre verstand und ihr nicht anhing? Der Dollarscheißer war offenbar souverän genug, sich selber auszuschalten aus dem Für und Wider, und er lehnte trotzdem, und trotzdem er sie begriff, einfach aus dem Verstand heraus die Lehre ab. Kaspar Pröckl disputierte leidenschaftlich mit ihm, er sagte unzählige Male grob: »Verstehen Sie?« Es kam vor, daß das Mammut nicht verstand; aber dann nur infolge der Mundart. Die andern hörten zu, und so bezaubernd manchmal der FanatismusKaspar Pröckls wirken konnte, die trocken hervorgekauten Sätze des Amerikaners schlugen ihn.
    Später, nach der Vorstellung, kam die Schauspielerin Kläre Holz. Pfaundler schlug vor, sie solle das Stierkämpferlied singen, doch sie lehnte ab, das sei

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