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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Wiederaufnahmeverfahrens. Als er von der Berufung des Messerschmidt erfuhr, rankte er an den unbekannten, nie gehörten Namen neue Hoffnung hinauf. Messerschmidt, ein seltsamer Name. Für wen schmiedet er Messer? Für ihn, Krüger? Für die, die ihn bedrängen? Er wog, rechnete, sinnierte. Um jede kleinste Schwankung in seinen Aussichten mußte er wissen. Immer bangte er, man könnte etwas vergessen. Er glaubte an Kaspar Pröckl, er vertraute Johanna. Trotzdem fürchtete er, sie könnte eine Chance übersehen. Er selber übersah keine. Wer hier in Odelsberg saß, im Zuchthaus, das war nur er. Mageiner noch so befreundet sein oder noch so lieben: miterlittenes Zuchthaus, miterlittener Schmerz spornt nicht wie eigene Qual.
    Mit Spannung erwartete er Johannas Besuch. Man wird diesen Besuch aufs äußerste einschränken, im günstigsten Fall auf die vorgeschriebene halbe Stunde, vielleicht auch, unter dem Vorwand, es sei zu wenig Aufsichtspersonal da, auf zwanzig Minuten, oder gar auf zehn. Er zählte die Stunden bis zu diesem Besuch. Er stellte sich vor, wie Johanna das letztemal da war, legte sich die Fragen zurecht, die er an sie richten wollte, feilte sie aus, damit ja nicht die Aufsichtsbeamten daran zu mäkeln hätten. Drei Monate sind zweitausendzweihundertundacht Stunden, nur eine halbe Stunde davon, vielleicht noch weniger, ist Besuchszeit. Das ist kostbare Zeit, sie muß auslangen für weitere zweitausendzweihundertundacht Stunden. Jede Sekunde muß ausgefüllt sein, man muß sie auskosten, muß gut überlegen, was man mit ihr anfängt, darf sie nicht durch Aufregung verpatzen.
    Dann kam Johanna wirklich, sie saß blühend da, leibhaft, im Fleisch, redete mit ihrer wirklichen, kräftigen Stimme. Er hatte sorgfältig bedacht, was er ihr sagen wollte, sich ihre Antworten ausgemalt. Ihre Antworten kamen. Gute, herzhafte Antworten. Ihre Stimme war im Raum, ihre Hilfsbereitschaft, ihr starkes, breites Gesicht. Aber es blieb alles blaß, es wurde unwirklicher, je länger sie da war. Am wirklichsten war es, bevor sie kam. Sein Herz war angefüllt gewesen mit gespannter Freude: jetzt fiel es zusammen wie ein leerer Sack.
    Johanna fand nicht zu ihm herüber. Nein, sie wollte Martins Elend nicht anschauen mit der wässernen Nüchternheit Tüverlins. Tüverlin hatte sicher recht: es geschah für Martin, was getan werden konnte. Aber sie wollte Martin mehr geben als seinen Anspruch. Sie war gekommen heißen Herzens. Aber nun sie ihm gegenübersaß, sprach sie ohne Schwung, voll lauer Freundschaft. Sie fand sich schlecht, daß sie in diesen spärlichen Minuten nicht ganz und ausschließlich Martindachte. Allein sie erinnerte sich, wie Tüverlin ihr gesagt hatte, er würde an ihr zeigen, wie Kampf auch um ein Gutes den Menschen schlechter machen könne. Sie mußte an sich halten, um nicht läppischerweise Martin zu fragen, ob der Mensch besser werde durch Leiden.
    Auf einmal, sie hatte seine letzten Sätze nur mit dem Ohr gehört, sagte Krüger, und es traf sie wie ein Stein: »Da reden sie, daß Kämpfen und Leiden den Menschen besser mache. Vielleicht unter freiem Himmel.« Die Ruhe, wie er das sagte, die farblose Stimme, wie er sagte: unter freiem Himmel , fiel ihr ins Herz. Auf einmal war Tüverlin fort, war alles andre fort, war sie ganz bei Martin. Auf einmal hatte sie ihm unendlich vieles und Wichtiges zu sagen. Aber jetzt war ihre Zeit aus, sie war verzweifelt, daß die Zeit um war, sie hatte sie vertan mit ihren eigenen, läppischen Gedanken. Martin Krüger saß da, leer, enttäuscht. Er hatte sich sorgfältig vorbereitet: jetzt war er am Ende, schon ehe die Besuchszeit um war.
    Die Nacht darauf wütete er, daß er Johannas Besuch nicht besser genützt hatte. Oh, diese elende Nacht, ihr Zorn, ihre Ohnmacht, ihre Geilheit, ihre Reue.
    Es kamen mehr solche Nächte. Martin Krüger begann, sich vor ihnen zu fürchten. Wie lange noch? fragte er mit wunderlich lauter Stimme in der Einsamkeit seiner Zelle. Wie lange noch? übersetzte er sich in alle Sprachen, die er kannte. Wie lange noch? schrieb er mit den Zeichen des Goya in die Stäbe seines nächtlichen Schattengitters.
    Einmal in einer solchen Nacht besuchte ihn eine Ratte. Er erinnerte sich an alte Geschichten, Erzählungen eines Narren, den die Pompadour hatte einkerkern lassen, weil sie sich von ihm beleidigt glaubte. Der hatte berichtet, wie er sich in seinem Loche, das sicher schlimmer war als jetzt Martins Zelle, die Ratten gezähmt hatte. Krüger wartete in

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