Erfolg
nicht verpflichtet, nach Ihrer Erkenntnis zu handeln, Sie sind verpflichtet, Erfolg zu haben.« Im übrigen lief die Unterredung lau ab, ohne Schwung. Als der junge Ingenieur die große Prunktreppe hinunterging, vorbei am »Tod des Aretino«, wünschte er, der Reindl möge bald einmal nach Rußland kommen, die Werke zu besichtigen. Er formulierte an den Sätzen, die alle dann er dem fleischigen Mann in sein Gesicht hineinsagen wird.
Zwei Stunden später überbrachte ein Bote mit einem sehr herzlichen Schreiben ein Abschiedsgeschenk des Reindl: eine großartige, grüne Lederjacke. Pröckl schimpfte, so protzig maskiert wolle er nicht nach Rußland. Andern Tages aber nahm er, auf Drängen der Anni, die Jacke doch mit.
Er fuhr die riesige Strecke in einem neuen, kleinen Wagen. Trotzdem er ins Frühjahr hineinfuhr, hatte ihn die Anni mit warmen Sachen ausgestattet, als ginge es zum Pol. Auch mit Geld, Vollmachten, Empfehlungen war er dick gepolstert.
Ein Stück Weges begleiteten ihn der Schriftsteller Tüverlinund das Mädchen Anna Lechner. Am Flusse Inn nahm Tüverlin Abschied. Pröckl versprach, er werde schreiben, sowie er das Bild »Josef und seine Brüder« entdeckt habe. Die Anni begleitete ihn bis zur Stadt Passau, wo der Fluß Inn in den Fluß Donau mündet. Kaspar Pröckl brachte sie an den Zug, mit dem sie zurückfahren sollte. Er war besonders mürrisch, schimpfte mit den Mitreisenden, als die ihrem Gepäck nicht schnell genug Platz machten. Sie stand am Fenster des Zuges. Er sagte, es sei läppisch, auf dem Perron herumzustehen und auf die Abfahrt zu warten, und er gehe jetzt. Er reichte ihr die Hand hinauf, sie stak in dem ledernen Autohandschuh. Dann wartete er doch, bis der Zug abfuhr. Streifte den Handschuh ab, gab ihr nochmals die Hand, stand noch eine Weile.
Er fuhr am gleichen Tage weiter, in der neuen grünen Lederjacke, Pfeife im Mund, allein. Verschwand aus Deutschland, dem Osten zu, in die Tschechoslowakei hinein, nach Polen, nach Krakau, nach Moskau, nach Nishnij Nowgorod. Wen von denen, die er in Europa zurückläßt, wird er in Rußland vermissen? Vier Menschen. Auf einem Baumstumpf hockend, mit finstern, brennenden, tiefliegenden Augen hohlwangig auf ihn hin starrend den Maler Landholzer. Feist ausgestreckt auf einer Ottomane, violett, aus schläfrigen Augen ihn anblinzelnd den Fünften Evangelisten. Auf und ab gehend in seinem Zimmer, mit gequetschter Stimme vergnügt auf ihn einredend den Schriftsteller Jacques Tüverlin. Tee eingießend, sacht und doch resolut ein Versäumnis des Alltags rügend das Mädchen Anna Lechner.
16
Die Familie Lechner kommt hoch
Dieses Mädchen Anna Lechner hatte gleich nach der Stabilisierung ihre Stellung in der Fabrik im Norden aufgegeben und ein Schreibbüro aufgemacht. Bei der Herausgabe der HinterlassenschaftMartin Krügers hatte Kaspar Pröckl sie zu Schreibarbeiten herangezogen. Dabei war sie mit Jacques Tüverlin zusammengekommen. Dem gefiel das resolute bayrische Mädchen, er nahm sie zur Sekretärin, es war ein gutes Arbeiten. Er ließ sich mit ihr in lange Debatten ein, scherzhafte zuerst, allmählich ernsthafte, über kleine Stilfragen. Erörterte wohl auch, während sie an der Maschine wartete, auf und ab gehend, monologisch die Einzelheiten seiner Arbeit, das Für und Wider. Nachdem Kaspar Pröckl fort war, sprach er oft mit ihr über diesen ihren Freund, häufte vor ihr Argumente, richtete an sie Anwürfe, die eigentlich ihm galten.
Mit ihrem Vater hatte sie jetzt ein bequemes Hausen. Der trug, seitdem sie ihn in seiner tiefsten Schmach gesehen hatte, eine gewisse Scheu vor ihr. Überhaupt war er seinem Vorsatz gemäß seit seiner großen innern Niederlage still und mild geworden. Eines nur erbitterte ihn. Schräg gegenüber am Unteranger hatte ein gewisser Seligmann seinen Laden, ein Jude, schon sein Vater hatte dem Lechner Konkurrenz gemacht. Anläßlich der Judenverfolgungen unter dem Staatskommissariat des Flaucher wäre dieser Seligmann um ein Haar ausgewiesen worden. Leider war es nicht dazu gekommen, der Putsch, der saublöde, hatte alles vermasselt, und der Jud Seligmann blieb im sichern Besitz seines Geschäftes wie seit Jahrzehnten. Ja, gewisse jüdische Kunden schnitten jetzt den Lechner, weil der Seligmann ihnen erzählte, der habe bei den Wahrhaft Deutschen mitgemacht und sei überhaupt ein Antisemit. Da, trotz aller Demut, konnte sich der Lechner nicht halten. »So ein Bazi«, schimpfte er. »So ein Hammel, so ein damischer.
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