Erfolg
Schickte ihn aufs Realgymnasium, unter Opfern, auf die Technische Hochschule. Kaspar Pröckl erinnerte sich, wie einmal an einem Sommerabend auf dem Starnberger See ein Junge in einem Boot Geige gespielt hatte. Alle Leute klatschten. Das tat es dem Vater an: gleich mußte er, Kaspar, auch Geige lernen. In der Familie mandelte sich der Vater groß auf. Büroangestellter bei der Stadtverwaltung, behauptete er die Autorität, die er bei seinen Kollegen und am Stammtisch entbehren mußte, mit doppelter Beflissenheit in seiner ärmlichen Wohnung, verlangte tyrannisch Anerkennung von Frau und Kindern. Dem Knaben Kaspar imponierte das. Er hatte das gleiche Geltungsbedürfnis wie der Vater; nur wollte er nicht der Familie, er wollte der Welt gelten. Jetzt noch, auch wenn er darüber lachte, sah er vor sich mit Respekt das Bild des Vaters, wie er dasaß, sich rasierend, umgeben von der demütigen Frau und den ängstlichen Kindern, die ehrfürchtig zuhörten, wie er die Angelegenheit seines Büros, der Stadt, des Reiches, der Welt hochfahrend und abschätzig glossierte. Der Vater Pröckl war kein schlechter Mann gewesen; was schlecht war, war die Zeit, die Umwelt. Was war das für eine Generation, die schließlich nichts anderes zuweg brachte als das schlechte Geschäft des Krieges? Er, Kaspar, erkannte denGrundfehler. Die marxistische Lehre, als er auf sie stieß, fand guten Boden.
Alles in allem waren die letzten Wochen Kaspar Pröckls in seiner Heimatstadt nicht gut. Er hatte Muße für lästige Gedanken und Gefühle.
Auch Punkt 3 seiner Marschorder, die Sache mit dem Mädchen Anna Lechner, erledigte sich schließlich anders, als er erwartete. Die Anni hatte sich’s überschlafen, sie war jetzt soweit, daß sie ihm Bescheid sagen konnte. Nicht aus seinen Büchern, aus ihrer eigenen Anschauung hatte sie gelernt. Da waren Männer, die waren dazu bestellt, zu verhüten, daß dem Staat Unheil geschehe, und wie dann der saudumme Putsch des Kutzner geschah, erklärten sie einfach, diese Entwicklung hätten sie nicht vorausgesehen, und regierten, der Hartl, der Kastner und die ganze Blase, ruhig weiter. Ein Staat, der solche Männer im Amt ließ, einem so dummen Staat, dem kann man nur mit Gewalt helfen, der muß hin werden. Kaspar hatte recht, sie wird in die Partei eintreten.
Kaspar Pröckl hatte sich damit abgefunden, daß die Anni hierbleiben werde. Das war schmerzhaft gewesen. Wie sie ihm jetzt sagte, sie werde in die Partei eintreten, war ihm das eine große, unerwartete Freude. Ganz leise nur hatte er das Bedenken, daß diese Wandlung nicht aus Überzeugung, daß sie nur seinethalb geschehe. Doch es erwies sich sogleich, das war Irrtum. Es habe leider, fuhr sie nämlich fort, ihr Entschluß mit ihrer beider weiteren Gemeinschaft nichts zu tun. Sie mache sich keine Illusionen, sie wisse, daß sie es ohne ihn schwer aushalten werde. Aber in Rußland werde sie es überhaupt nicht aushalten. In die Partei eintreten wolle sie: aber nach Rußland gehe sie nicht. Sie wolle alt werden hier in dieser Stadt München, im Umkreis der Frauentürme, im Angesicht der bayrischen Berge, und begraben sein auf dem Südlichen Friedhof. So, und jetzt werde sie Tee aufsetzen.
Kaspar Pröckl hockte da, schwieg. Da war nichts zu machen; eine Münchnerin, selbst wenn sie Genossin war, schaute eben so aus. Das Unangenehmste an dem Vorurteil der Anniwar, daß er es so ganz begriff. Ja, er wußte nicht recht, wer von ihnen beiden tapferer war, sie, weil sie an ihrem Vorurteil, er, weil er an seinem Urteil festhielt. Für ihn jedenfalls, wollte er nicht wie der Maler Landholzer in Schizophrenie verfallen, blieb einziger Halt ein Leben inmitten eines praktischen, realisierten Marxismus. Den gab es nur in Rußland.
Wenige Tage später verabschiedete sich Kaspar Pröckl von dem Fünften Evangelisten. Erst sollte die Unterredung im Büro der Bayrischen Kraftfahrzeugwerke stattfinden; im letzten Augenblick ließ Herr von Reindl den Herrn Ingenieur telefonisch in das Haus am Karolinenplatz bitten. Das verstimmte Kaspar Pröckl. Er wird froh sein, wenn er das Gefrieß des Herrn nicht mehr sehen muß. Auf alle Fälle wird er, wenn der Herr sich erdreisten sollte, übers Geschäftliche hinaus irgend etwas Persönliches zu sagen, ihn tüchtig abfahren lassen. Aber der Fünfte Evangelist sagte nichts Persönliches, und das ärgerte Pröckl. »Ich möchte mir nur erlauben«, sagte Herr von Reindl, »Ihre Aufmerksamkeit auf eine Tatsache zu lenken: Sie sind
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