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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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die andern. Aber da irrt sie.
    In Tüverlin war eine Gereiztheit, die er sonst nicht kannte. Er hatte die Geschehnisse hier miterlebt seit mehr als einem Jahrzehnt. Er war durch das Münchner Leben mit einer Neutralität gegangen, die häufig wohlwollend war, manchmal übelwollend, aber immer Neutralität. Die Befreiung Münchens , der Fall Krüger, die barbarische Komik des Kutznerputsches. Die Gesichter der Achtjährigen, mit den Gesichtern der Alten darin, waren ihm auf einmal verekelt. Ihr Lachen, Kasperls Lachen, sogar der Stich auf seinem Schoß warihm verekelt. Alles brach los in ihm, was die dummen und rohen Geschehnisse dieser Jahre angestaut hatten.
    Es war mehr als Mißlaune, als vorübergehendes Unbehagen. Tüverlin, von der Maidult nach Haus fahrend, spürte ein neues, unmißverständliches Gefühl. Es war Haß.
18
Jacques Tüverlin erhält einen Auftrag
    Es war seit dem Zusammenbruch der Wahrhaft Deutschen ein halbes Jahr um, die schlimmsten Wirkungen der Geldaufblähung und der Stabilisierung waren überwunden. Die Ergebnisse jener Kommission, die unter dem Vorsitz des Amerikaners Dawes zusammengetreten war, um einen vernünftigen Reparationsplan zu entwerfen, lagen einer Konferenz der beteiligten Staaten vor; niemand zweifelte, daß sie zu einem Abkommen führen würden. In England regierte die Arbeiterpartei unter Ramsay Macdonald. In Spanien hatte sich ein General, ein gewisser Primo de Rivera, zum Diktator aufgeschwungen. In Marokko erhoben sich unter dem Führer Abd el Krim die eingeborenen Berber gegen die vordringenden Spanier und Franzosen. Die verkleinerte, auf Asien zurückgedrängte Türkei hatte mit ihren Besiegern einen neuen Frieden geschlossen. In Rußland war der Begründer des Sowjetstaates, N. Lenin, nachdem er eine Neue , gemäßigtere, Ökonomische Politik eingeschlagen hatte, gestorben; seine Nachfolger verbanden sich gegen seinen größten Gehilfen, Leo Trotzki, verdrängten ihn aus der Leitung des Staates. In Indien dauerte die Gärung fort. In China, auf dem Rücken einer verelendeten Bevölkerung, bekriegten sich geldgierige Generale.
    Der Mai verging. Die Stadt München, die bayrische Hochebene hatten sich vollends beruhigt. In den krampfigen Zeiten des abgelebten Jahrzehnts hatte sich Jacques Tüverlin darauf gefreut, in diesem vertrauten, gemächlichen Lebenmitzutreiben, beteiligt und betrachtend. Jetzt war es an dem. Die Hochebene lag friedlich, Berge, Seen, gewelltes Vorland, die Stadt genoß breit die gepriesene bayrische Ruhe. Doch den Tüverlin kratzte, was in den letzten Jahren hier geschehen war, er sah überall die Spuren dieses Geschehens wie eine widerliche Krankheit. Er begriff nicht mehr, warum er, dem die ganze Welt freistand, sich mit Leib und Seele gerade in diesem Land angesiedelt hatte. Er fuhr herum, kreuz und quer, er schwamm in den Seen, er kletterte in den Bergen, er trank in der Stadt, debattierte mit halbwegs vernünftigen Männern, schlief mit Frauen. Aber er tat es ohne Freude.
    Noch hatte er sich nicht entschieden, welchen von seinen Plänen er ausführen solle. Sonst war ihm die vorbereitende Arbeit die liebste. Man sah klar und lockend das Positive, die Schwierigkeiten traten zurück. Man knetete, formte, nichts war festgelegt, hundert schöne Möglichkeiten waren da. Jetzt machte ihm, das erstemal in seinem Leben, selbst diese angenehme, unverbindliche Arbeit keine rechte Freude. Er spürte ein früher nie gekanntes Unbehagen, ein Ödnis. War es, weil Kaspar Pröckl ihm abging? War es, weil seine Beziehungen zu Johanna so albern geworden waren, kahl, förmlich? Er war gereizt gegen Kaspar Pröckl, daß er nicht da war, gereizt gegen Johanna, daß sie einen so harten Kopf hatte, gereizt gegen sich selber, daß er schlecht arbeitete.
    Am 7. Juni jährte es sich zum drittenmal, daß Martin Krüger verurteilt worden war. Heute, ob mit oder ohne Amnestie, wäre er frei geworden. Keine Zeitung verzeichnete den Jahrestag. Johanna sah, daß der Mann Krüger nun ganz verdeckt war von seinem Werk. Es bohrte an ihr. Einmal machte sie den Mund auf, um mit Tüverlin zu sprechen, den sie jetzt selten sah. Aber sie sprach nicht, es hatte keinen Sinn. Sie wurde schmäler, härter. Sie arbeitete viel.
    Auch Jacques Tüverlin hätte diesen Erinnerungstag nicht wahrgenommen, wenn er nicht einen Brief aus Berchtoldszell erhalten hätte. Die Beinknöpfe seiner Joppe, schrieb Otto Klenk, hätten sich gelockert. Aber er habe sie festernähen lassen; denn, soweit er

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