Erfolg
Regenten des Landes Bayern, der Dr. Bichler. Denn der war blind. Er saß herum in den weiten, niedrigen, schlecht gelüfteten Räumen seines alten niederbayrischen Gutshauses, an dem viele Geschlechter gebaut, geflickt und immer wieder angebaut hatten. Er saß herum, schimpfend, schlecht rasiert, mit knotigen, blauroten Händen. Ein Geheimrat vom Landwirtschaftsministerium mühte sich ängstlich, von ihm angehört zu werden. Sein Sekretär stand da mit den Zeitungen, um ihm vorzulegen. Der dicke, plumpe Mann stieß unwirsche, halbe Sätze aus. Der Sekretär glaubte den Namen Krüger zu hören und begann, den Bericht über den Prozeß vorzulesen. Der Dr. Bichlerstand auf, der Sekretär wollte ihm helfen, aber der Dr. Bichler stieß ihn unwillig zurück, tastete sich allein durch die Räume, der Geheimrat vom Landwirtschaftsministerium und der Sekretär hinter ihm her, bemüht, von ihm gehört zu werden.
14
Die Zeugin Krain und ihr Gedächtnis
Die Zeugin Johanna Krain las den Bericht, den Mund halb offen, daß die kräftigen Zähne in ihrem gestrafften Gesicht bloßlagen. Sie furchte die breite Stirn unter dem dunklen Haar, das sie gegen die Mode jener Jahre in einem Knoten nach hinten gestrichen trug. Sie ging mit sportlich starkem Schritt, unmutig Luft durch die Nase stoßend, knackend mit den ungeduldigen Fingern ihrer festen, großporigen Hand, auf und ab durch das Zimmer, das geräumig, doch für ihre Heftigkeit fast zu klein war. Dann ging sie ans Telefon, bekam nach mehrmaligem Versuch Verbindung mit der Kanzlei des Dr. Geyer, erfuhr, was sie vermutete, daß er nicht zu erreichen war.
Ihr Gesicht mit dem starken Mund und den entschiedenen, grauen Augen verzog sich so unmutig, daß sie fast häßlich wurde. Sie überflog nochmals den Bericht mit angewiderten Lippen. Das Zeitungsblatt war noch feucht vom Druck und roch übel, und, jenseits selbst allen persönlichen Interesses, ekelte sie die dumpfe Luft, die aus den Worten des toten Mädchens aufstieg. Martin hätte sich nicht so viel mit der Haider abgeben dürfen. War es nicht unappetitlich, das Objekt solcher Briefe zu sein?
Sie erinnerte sich deutlich an die Haider. Wie sie etwa mit Martin und ihr in der »Minerva«, einer Tanzdiele des lateinischen Viertels, an einem Tisch hockte, zusammengekauert, am Strohhalm ihres Cocktails saugend, wie sie dann sonderbar ausgelöscht und hingegeben Martin im Arm hing. Einmalhatte Martin gefragt, ob sie denn dem Mädchen keine graphologische Analyse machen wolle; ihre Analysen – damals hatte sie sie noch nicht berufsmäßig gemacht – waren in diesen Kreisen bekannt und begehrt. Aber die Haider hatte rasch, unhöflich geradezu, abgelehnt. Vielleicht war es auch mehr Angst gewesen. Eigenschaften wechselten wie Wasser, hatte sie erklärt; in jeder Lage und in jeder Beziehung zu jedermann sei man ein anderer. Sie denke nicht daran, sich auf bestimmte Eigenschaften festlegen zu lassen.
Johanna ging auf und ab in ihrem großen Zimmer zwischen hübschen, hellen Wänden, stattlichen, praktischen Möbeln, geordneten Büchergestellen, zwischen der Apparatur ihres graphologischen Betriebs, dem riesigen Schreibtisch, der Schreibmaschine. Im Spiegel wechselnd sah sie die helle Isar, Anlagen, den breiten Kai. Nein, sie hatten sich nicht gut verstanden, sie und das tote Mädchen. Die halb widerwillige Freundschaft, in der die Haider den Martin in ihrer wunderlich saugenden, schwülen Art festgehalten hatte, war widerwärtig und konnte nicht gut ausgehen. Sie, Johanna, hätte Martin warnen müssen. Sicherlich war ihm diese Freundschaft längst lästig geworden, aber er mußte immer gestoßen sein. Er drückte sich vor allem Unangenehmen, er drückte sich vor der Szene. Bestimmt war das der einzige Grund, aus dem er vermieden hatte, mit der Haider Schluß zu machen.
Es hatte wenig Sinn, sich jetzt darüber zu ärgern. Das war aus und vorbei. Das einzige, was sie jetzt tun konnte, war warten, bis sie den Anwalt erreichte.
Hat sie nicht die Analyse dieser Frauenhandschrift zugesagt für heute abend? Nummer 247, ja. Sie wird sich jetzt gleich an die Arbeit setzen und in einer halben Stunde nochmals versuchen, Dr. Geyer zu erreichen. Sie nimmt das Zeitungsblatt vom Tisch, legt es ordentlich zu den gelesenen Zeitungen. Sucht die Schriftprobe 247 vor, spannt sie in den kleinen, lesepultähnlichen Apparat, den sie zu ihren Analysen benützt. Sie verdunkelt das Zimmer, schaltet den Reflektor ein, daß sich die Schriftzüge fast
Weitere Kostenlose Bücher