Erfolg
möglich.
Sie weiß nicht, ob Martin mit dem toten Mädchen geschlafen hat. Sie glaubt es nicht; sie hat nie mit ihm darüber gesprochen, es interessiert sie nicht. Aber das weiß sie, das sagt ihr der gesunde Menschenverstand, daß es nicht gut sein kann, wenn ein Mann länger als eine Nacht unter der Last solcher Bekundungen bleibt, wie die Briefe und Tagebücher der Haider sie darstellen. Sie wird sich rühren. Wird dagegen angehen. An Hand von gutem Material widerlegen.
Sie telefonierte von neuem, erreichte Dr. Geyer. Sagte ihm schnell und entschieden, sie habe ihr Gedächtnis nochmals geprüft, erinnere sich jetzt genau. Wolle aussagen. Morgen. Möglichst sogleich. Dr. Geyer erwiderte, darüber wolle er sich am Telefon nicht äußern, er erwarte sie in einer Stunde in seiner Wohnung.
Eine Stunde. Sie wird zu Fuß gehen. Aber auch dann hat sie noch reichlich Zeit, bis sie aufbricht.
Wenn sie Martin nicht sehen kann, so hat sie doch Briefe von ihm. Sie ging an die Kassette, in der die Briefe lagen, zahlreiche Briefe, aus vielen Städten, vielen Stimmungen, vielen Situationen. Martin schrieb leicht und unbedenklich drauflos, wie es in jener beschäftigten Epoche wenig Leute mehr taten. Es waren ungleiche Briefe. Einzelne sachlich, trocken, andere jungenhaft lustig, voll von abgelegenen, krausen Einfällen. Dann lange, impulsive Auslassungen über Bilder, über Dinge seines Berufs, alles ohne Hemmungen, widerspruchsvoll.
Da also lagen die Briefe, wohlverwahrt und geordnet. Ob sie seine Briefe auch in ein Register einloche? hatte Martin sich einmal aber ihre Ordnung lustig gemacht. Sie nahm ein Blatt heraus, warf einen Blick auf die raschen, großen, eigentümlich zarten Schriftzüge. Wandte die entschiedenen, grauen Augen sehr bald wieder ab. Legte das Blatt zurück.
In dem ungemütlichen Zimmer des Anwalts wies Dr. Geyer sie in dürren Worten darauf hin, daß ihr gutes Gedächtnis in diesem Lande nicht ungefährlich sei. Man werde vermutlich eher sie wegen Meineids belangen als den Chauffeur Ratzenberger. Johanna, drei Furchen über der Nase, das blanke Gesicht sehr straff, fragte, warum er gerade ihr das sage. Ob er glaube, das mache auf sie Eindruck? Er halte sich für verpflichtet, sie über die möglichen Folgen ihrer Aussage aufzuklären, meinte er trocken. Sie, ebenso trocken, dankte für seine freundliche Absicht. Entfernte sich, lächelnd.
Lächelnd, auf einem Umweg, ging sie nach Hause, durch den Englischen Garten. Summte vor sich hin, unmusikalisch, zwischen Lippen und Zähnen, unhörbar fast, eine Melodie aus einer altmodischen Oper, immer die gleichen paar Takte. Der schöne, weite Park lag abendlich kühl und friedsam. Viele Liebespaare waren unterwegs. Auch ältere Leute genossen nach frühem Abendbrot die einfallende Kühle. Sie saßen auf den Bänken, schwatzten, rauchten, lasen ruhevoll in ihren Zeitungen die ausführlichen Berichte über die Liebe der toten Schlawinerin zu dem Manne Krüger.
15
Herr Hessreiter diniert am Starnberger See
Die gleiche Straße, die gestern der Minister Dr. Klenk gefahren war, fuhr am Abend dieses Tages der Kommerzienrat Paul Hessreiter. Er fuhr mit seiner Freundin, Frau Katharina von Radolny; denn er pflegte einen großen Teil des Sommersauf ihrem schönen Besitztum Luitpoldsbrunn am Starnberger See zu verbringen.
Herr Hessreiter chauffierte. Es war der neue amerikanische Wagen, den er erst vor drei Wochen übernommen hatte. Nach dem widerwärtigen Prozeßtag war es angenehm jetzt, in die beginnende Nacht hineinzufahren, auf breiter Straße, durch den undichten Forst. Die Scheinwerfer hoben kleine Sektoren der Straße und der Landschaft heraus, Herr Hessreiter fuhr in maßvollem Tempo, genoß die einfallende Kühle, die vertraute Nähe Katharinas, die ihm von den vielen Frauen, die er, einer der fünf Lebemänner der Stadt München, gehabt hatte, die liebste war. Sie waren nicht verheiratet. Katharina vereinigte die Annehmlichkeiten einer Freundin und einer Ehefrau.
Sie saßen nebeneinander, führten eine lässige Unterhaltung mit vielen Pausen. Gegenstand war selbstverständlich der Prozeß Krüger. Ja, meinte Herr Hessreiter, unangenehm sei es schon, bei diesem Prozeß als Geschworener, als Richter gewissermaßen, mitzumachen. Aber er gab sich jetzt vor Katharina realpolitisch, zynisch, großspurig. Man war schließlich Geschäftsmann; es war denkbar, daß gewisse Leute von Einfluß ihre Keramiken von anderswoher bezogen hätten, wenn man sich von seiner
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