Erfolg
immerfort schrie, bis sie ihm schließlich trotz des ärztlichen Verbots mitleidig einen warmen Trank aus Milch und Bier einflößte.
Das dralle, hübsche Gesicht der Kassierin Zenzi hingegen, als sie den Bericht las in der Tiroler Weinstube, wurde nachdenklich wie zuweilen im Kino, und sie überließ die Sorge für ihre Gäste auf zwei Minuten ihrer Gehilfin Resi. Sie hatte den Mann Krüger gut gekannt, ein hübscher, spaßhafter Herr, er hatte oft derb mit ihr geflirtet. Es gehörte sich nicht, daß man das spinnerte Zeug veröffentlichte, das das tote Mädchen ihm geschrieben hatte. Es waren sehr unanständige Briefe, solche Sachen schrieb man nicht, aber einige Wendungen machten ihr Eindruck. Draußen im Hauptlokal saß häufig ein junger Mensch, ein gewisser Benno Lechner, Sohn des Altmöbelhändlers Lechner, Stand: ledig, Beruf: Elektromonteur in den Bayrischen Kraftfahrzeugwerken. Aber er wird indieser Fabrik wohl nicht alt werden, er hält es nirgends lange aus, er hat ein freches, aufrührerisches Gemüt. Kein Wunder, er steckte ja den ganzen Tag mit dem Kaspar Pröckl zusammen, dem Schlawiner, dem zuwidern. Im Zuchthaus war er auch schon gewesen, der Beni, ein Zuchthäusler war er, freilich nur aus politischen Gründen: aber Zuchthaus bleibt Zuchthaus. Trotz dieser am Tag liegenden Mängel gefiel er ihr gut, und es war ein Schweinstall, daß er so wenig von ihr hermachte. Schon das dritte Jahr jetzt war sie zur Oberkellnerin, zur Kassierin avanciert, und sie hatte zu ihrer Entlastung eine Gehilfin, die sie herumkommandieren konnte, die Resi. Im Hauptlokal und in dem teuren Nebenlokal bewarben sich viele darum, mit ihr auszugehen. Feine Kavaliere. Gerade das Geriß hatte sie. Aber die Kassierin Zenzi reservierte die spärlichen Abende ihres Ausgangs für den Elektromonteur Benno Lechner. Der hatte es gnädig und ließ sich, obwohl er bloß der Sohn der Tandlerei Lechner vom Unteranger war, lange bitten, bis er den Abend mit ihr verbrachte. Es war ein Kreuz. Aber er hatte Sinn für Höheres, war für Verdrehtes, Spinnertes zugänglich: vielleicht konnte sie bei Gelegehheit einmal für ihn Wendungen aus den Briefen des toten Mädchens gebrauchen. Sie schnitt sich säuberlich den Bericht aus der Zeitung, verwahrte ihn in ihrem Poesiealbum, das neben Denksprüchen ihrer Verwandten und Freunde Sentenzen und Unterschriften der bedeutendsten Männer aus dem Bereich der Tiroler Weinstube in Fülle enthielt.
Es las den Bericht auch, angewidert und bestätigt, der Graf Rothenkamp, jener stille Herr auf dem Schloß in den Bergen des südöstlichen Winkels, der oft nach Rom fuhr, in den Vatikan, und nach Berchtesgaden zum Kronprinzen Maximilian, der reichste Mann südlich der Donau, von großem Einfluß auf die leitende klerikale Partei, von leisen Manieren, ängstlich von jeder offiziellen Betätigung sich fernhaltend. Der Kronprinz Maximilian selbst las den Bericht. Auch der Baron Reindl las ihn, der Generaldirektor der Bayrischen Kraftfahrzeugwerke, genannt der Fünfte Evangelist , durchseine Verbindung mit dem Ruhrkonzern Führer der bayrischen Industrie. Er überflog den Bericht nicht sehr interessiert. Einen Augenblick dachte er daran, dem Chefredakteur des »Generalanzeigers« zu telefonieren. Er hatte die finanzielle Oberhoheit im »Generalanzeiger«, ein Wort von ihm hätte dem Prozeßbericht eine erheblich andere Färbung gegeben. Einer seiner Ingenieure, ein gewisser Kaspar Pröckl, ein komischer Kerl, recht begabt, hatte in seiner frechen, unbeholfenen Art bei ihm für den Krüger zu intervenieren versucht. Vielleicht hätte der Baron Reindl wirklich interveniert. Aber er erinnerte sich, daß dieser Krüger ihn einmal hinter seinem Rücken einen Dreipfennig-Medici geheißen hatte. Er war nicht nachträgerisch, der Baron Reindl, aber ein Dreipfennig-Medici bestimmt auch nicht. Hatte nicht erst seine Munifizienz den Ankauf des Bildes »Josef und seine Brüder« ermöglicht? Es war ein wenig arrogant von dem Krüger, und jedenfalls, das dürfte sich jetzt erweisen, war es unpraktisch. Der Baron Reindl überlas ein zweites Mal den Bericht, aufmerksamer, sein fleischiges Gesicht verzog sich schmeckerisch, er telefonierte nicht.
Auch der optimistische Schriftsteller Pfisterer las den Bericht, die Haushälterin Agnes, der Galeriebesitzer Novodny. Und, mit Begeisterung für seinen heldischen Vater, der junge Ludwig Ratzenberger. Nicht aber las den Zeitungsbericht der mächtigste unter den fünf heimlichen
Weitere Kostenlose Bücher