Erfolg
zweimal, zu beschwören, daß sie zu der oder jener Frau keine Beziehungen hätten.
Der Gerichtsschreiber aber las weiter an dem langen Brief des toten Mädchens Anna Elisabeth Haider, der geschrieben war in einer Nacht vom 16. zum 17. Oktober, im ungeheizten Atelier, mit klammen Fingern, auf den Tasten des Herzens angeblich, und der sehr verspätet und unter ungewöhnlichen Umständen an die Adresse des Empfängers kam.
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Eine Stimme aus dem Grab und viele Ohren
Die Zeitungsberichte über die Aufzeichnungen des toten Mädchens waren groß aufgemacht, die Verlesung wurde als sensationelle Wendung des Prozesses bezeichnet. Mit hurtiger Eloquenz belichteten geschickte Berichterstatter, wie die gespenstische Liebeserklärung aus dem Grab, ihrem Empfänger durch den Mund eines Gerichtsschreibers gemacht, sehr verspätet, im hellen Tageslicht, vor zahllosen Zeugen, ihn überdies mit Zuchthaus bedrohend, wie unheimlich diese Verlesung auf die Anwesenden gewirkt habe. Viele Stellen aus dem Tagebuch und aus den Briefen waren wörtlich zitiert, einige in Fettdruck.
Es lasen die Berichte die Männer der Stadt München, breite Männer, rundköpfig, langsam von Gang, Gesten undDenken, sie schmunzelten, tranken überzeugt, tief und behaglich aus grauen Tonkrügen schweres Bier, klopften die Kellnerinnen auf die Schenkel. Es lasen diese Berichte alte Frauen, konstatierend, daß solche Schamlosigkeit in ihrer Zeit unmöglich gewesen wäre, und junge Mädchen, schwer atmend, mit schlafferen Knien. Es lasen diese Berichte, heimkehrend aus ihren Büros und Arbeitsstätten, Einwohner der Stadt Berlin, auf den Verdecken der Autobusse über den heißen Asphalt durch den Sommerabend fahrend oder gedrängt in den langen Wagen der Untergrundbahn, sich festhaltend an Strippen, sehr müde, schlaff gelockt von den sonderbar fromm- und schamlosen Worten des toten Mädchens, schielend nach Armen, Busen, Nacken der Frauen, deren Fleisch nach der Mode der Zeit sehr sichtbar war. Ganz junge Burschen lasen den Bericht, vierzehnjährige, fünfzehnjährige; neidisch auf den Empfänger der Briefe, erbittert über ihre Jugend, stellten sie sich erregt die Zeit vor, da man ihnen einmal solche Briefe schreiben wird.
Es las diesen Bericht der Kultusminister Dr. Flaucher. Er hockte zwischen den alten Plüschmöbeln seiner dumpfen, niederen Wohnung. Dies war mehr, als er sich erhofft hatte. Er knurrte befriedigt etwas Musik vor sich hin, daß der Dackel Waldmann aufschaute. Es las den Bericht der Professor Balthasar von Osternacher, der repräsentative Maler, den der Mann Krüger einen Dekorateur geheißen hatte. Er lächelte, machte sich von neuem und intensiver an seine Arbeit, trotzdem er für diesen Abend eigentlich hatte Schluß machen wollen, er hielt jene Wertung durch den Mann Krüger jetzt für endgültig widerlegt. Auch der Dr. Lorenz Matthäi las den Bericht, der ausgezeichnete Gestalter bayrischer Volkstypen; sein fleischiges, unbeherrschtes Hundsgesicht wurde noch knurriger, die Säbelhiebe aus seiner Studentenzeit noch röter. Er nahm den Kneifer von seinen kleinen, unguten Augen, putzte ihn umständlich, las den Bericht ein zweites Mal, nicht mit Behagen. Vielleicht erinnerte er sich gewisser Redouten, denen er als junger Rechtsanwalt beigewohnt hatte,vielleicht einer gewissen Photographin, die einen ähnlichen Stil geschrieben hatte wie die Verfasserin der Briefe und die nun hinuntergeschwommen war. Sicher ist, daß er sich breit an seinen Schreibtisch setzte und ein bösartiges, saftiges Epitaph auf die tote Malerin schrieb in der Art der Marterl , der Erinnerungstafeln, wie sie in den bayrischen Bergen am Straßenrand zu stehen pflegten. Er lehnte sich zurück, überlas die Verse, sah, daß sie gut waren. Es gab eine feine, nervöse Analyse der Bilder der Anna Elisabeth Haider, geschrieben von dem Manne Krüger; aber seine Verse sind urwüchsig, dreschflegelkräftig. Er grinste. Sie werden die Analysen des Krüger verdrängen, die endgültige Grabschrift des toten Mädchens sein.
Als die Hoflieferantin Dirmoser den Brief las, wurde sie bitter. Also darum, daß ihr Mann dabeisein konnte, wenn solche Sauereien vorgelesen wurden, mußte sie sich in die Filiale in der Theresienstraße stellen und ihren kleinen zweijährigen Pepi vernachlässigen. Ohne ihren Mann ging das nicht, sonst ginge wahrscheinlich der ganze bayrische Staat kaputt. So schimpfte sie lange, während sie besorgt nach dem kleinen Pepi schaute, dem Saubankert, der
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