Erfolg
Mund sitze sie, und nichts sei auf der Welt als ihre schreckliche, tiefe Verwirrung und Traurigkeit und die heftige Stimme der Hofrätin, die Geld wolle.
Dies also verlas der Gerichtsschreiber Johann Hutmüller im Sitzungssaal 3 des Justizpalastes vor dem Schwurgericht unter gespannter Anteilnahme des Publikums. Einige Damen hatten den Mund töricht und hübsch halboffen, andere hörten zu mit schweratmender Versunkenheit, verwirrt darüber, daß eine Frau derartiges an einen Mann schrieb. Immer hatten Frauen den Mann Martin Krüger lang und gern betrachtet. Aber nie noch war er von so vielen Frauenaugen so angespannt beschaut worden wie an diesem 5. Juni.
Der Vorsitzende Dr. Hartl hatte ein philosophisches, leicht trauriges Lächeln. Die Briefe der Toten waren typisch, ein Dokument. So waren sie, die Schlawiner. Sie hatten keine Richtung, keinen Ehrgeiz. Nehmen sich jede Freiheit. Sagten heraus, wie es ihnen zu Sinn war, schamlos, hemmungslos. Was hatten sie davon? Was blieb, war Dumpfheit und Trauer, ein geöffneter Gashahn und ein aufregendes, zweideutiges Bild. Er leitete umsichtig die ziemlich lang dauernde Verlesung, half dem Schreiber über ein paar schwierige Worte nachsichtig hinüber, sorgte dafür, daß, als draußen leichter Wind aufkam, an dem heißen Tag ein Fenster geöffnet wurde.
Der Staatsanwalt genoß die Verlesung, den Kopf mit den leichtbehaarten Ohren vorgestreckt, um auch jedes Wort aufzunehmen, und konstatierte mit verbissenem Triumph die Wirkung.
Auf der Geschworenenbank hörte man angestrengt zu. Der Altmöbelhändler Cajetan Lechner stierte benommen mit dümmlichem Gesicht auf den Mund des Gerichtsschreibers, strich sich den Schläfenbart, gebrauchte seltener, fast nur mechanisch sein gewürfeltes Taschentuch. Er dachte an seine Tochter, die Anni, und an ihr Gschpusi mit dem zuwiderenKerl, dem Kaspar Pröckl. Es war unglaublich, auf was für ein damisches Zeug so ein Mädel kommt. Wenn er sich freilich das frische, gesunde Gesicht seiner Anni vorstellte, dann war nicht anzunehmen, daß sie jemals einen solchen Schmarren zusammenschmieren könnte. Andernteils wußte man, sobald einer oder eine sich mit einem Schlawiner einließ, nie, was da alles passieren konnte. Wirklich auslernen tut da keiner. Unbehaglich über dem kropfigen Hals rückte er den wasserblauäugigen Kopf, schaute mit Widerwillen auf Martin Krüger. Der Gymnasiallehrer Feichtinger und der Briefträger Cortesi, die am wenigsten begriffen, verstanden immerhin so viel, daß es sich hier um etwas Unsauberes, Schweinisches handelte, das den Meineid des Krüger klar erwies. Auch der Hoflieferant Dirmoser, obwohl ihm die Lage seines Handschuhgeschäfts und die Krankheit des Kindes wirklich den Kopf genügend füllten, hörte zu und dachte, wieviel sonderbare Worte man machen könne um etwas so Einfaches wie das zwischen dem Krüger und der Haider. Wenn die schon eine solche Gschaftelhuberei anstellen, ehe sie sich zusammen ins Bett legen, was für endlose Reden würden sie schwingen, wenn sie in eine ernsthafte Sache hineingerieten wie den Handel mit Handschuhen. Sehr angeregt folgte der Versicherungsagent von Dellmaier der Verlesung. Er hielt ein ironisches, lebemännisch sein wollendes Lächeln fest um die blassen Lippen, er fältelte überlegen die Lider um die wässerigen Augen, lachte zuweilen hell, meckernd, albern, von dem Anwalt Geyer mit Widerwillen betrachtet.
Aus braunen, schleierigen Augen aber schaute von der Geschworenenbank her auf den Mann Krüger der Kommerzienrat Paul Hessreiter. Er war umgänglich, er raunzte manchmal ein bißchen, gewiß, aber er ließ mit sich reden und erklärte sich einverstanden mit Menschen, Welt und Dingen, vor allem mit seiner Vaterstadt München. Doch was zuviel war, war zuviel. Der Krüger war kein sympathischer Bursche: aber einen Mann mit Liebesbriefen aus dem Grab zu behelligen, war einfach ungehörig. Aus Paul Hessreiters Gesicht schwand dieübliche phlegmatische Toleranz, die gewohnte schleierige Liebenswürdigkeit, er zog angestrengt, unbehaglich die Stirn zusammen, atmete schwer, so daß sein Nachbar erstaunt aufschaute, glaubend, er sei eingenickt und beginne zu schnarchen. Vielleicht dachte der Kommerzienrat Hessreiter daran, daß es eigentlich sinnlos schwer gemacht wurde, in der unter klerikaler Herrschaft stehenden Stadt München doppelt schwer, Ehen zu scheiden. Vielleicht dachte er daran, daß Tag für Tag Männer in die Lage kamen, er selber zum Beispiel bereits
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