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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Rechtsanwalt und Landtagsabgeordnete Dr. Siegbert Geyer nimmt langsam den Hörer wieder ab, stellt das Gerät ungewohnt sorglich zurück. Seine Stirn ist fleckig. Er wischt sich mit dem Handrücken den Schweiß ab, sieht nicht mehr müde aus. Er kramt unter vielen Papieren den dicken Manuskriptstoß hervor, der auf blauem Aktendeckel den Vermerk trägt »Geschichte des Unrechts«. Das Manuskript begleitet ihn, es geht von der Kanzlei in seine Wohnung, von der Wohnung in die Kanzlei. Er blättert, spannt sich, streicht an, schreibt. Die Haushälterin Agnes mit ihrem langen, schleichenden Schritt windet sich ins Zimmer. Ihre nervöse, heisere Stimme quäkt, er habe wieder nicht zu Abend gegessen, und er habe morgen einen schweren Tag, und das gehe nicht so weiter, und er solle endlich essen. Er sieht auf, blind an ihr vorbei. Schreibt. Sie beginnt zu schreien. Er unterbricht nicht. Schließlich geht sie hinaus. Nach zwei Stunden noch sitzt er und schreibt.
    Andern Tages während seines Plädoyers hatte sich der Anwalt ganz in den Zügeln. Seine Hände flatterten nicht, seine Wangen waren gestrafft, keine jähe Röte flackerte sie an. Seinhelles Organ war nicht angenehm, aber er beherrschte sich und sprach nicht zu schnell. Er sah die Gesichter, die seinem Mund folgten. Vor allem auf das angestrengte Antlitz des Geschworenen Lechner richtete er den durchdringenden Blick, nur selten zwinkernd, und je nachdem der Altmöbelhändler Lechner sein gewürfeltes Taschentuch häufiger benutzte oder seltener, wußte der Anwalt, wohin er steuern sollte. Jede Wirkung saß, wo er sie wünschte.
    Ein so kennerischer Beobachter freilich wie etwa der Rechtsanwalt Löwenmaul bemerkte, daß Dr. Geyer zweimal aus dem Konzept kam. Einmal sprach er überflüssigerweise von den vielen Verführungen der Epoche, von ihrer Disziplinlosigkeit, ihrer windigen, aushöhlenden, im Grunde temperamentlosen Genußsucht; mühsam nur fand er dann herüber zu der unnötigen, ja schädlichen Feststellung, daß Martin Krüger sich von dieser Genußsucht zwar auch habe anstecken lassen, daß sie sich aber in ihm doch zu einem großen Teil in Kunst umgesetzt habe. Nicht bemerkt hatte Löwenmaul, daß Dr. Geyer, als er zu dieser Diatribe ausholte, abgeglitten war vom Gesicht des Altmöbelhändlers Lechner und hängengeblieben an dem blassen, blonden, finnigen Schädel des Versicherungsagenten von Dellmaier, der denn auch spöttisch, gelangweilt, geckenhaft den Blick nicht abwandte von dem eifernden Munde des Anwalts. Dann später, beobachtete Löwenmaul, schweifte der Kollege ab in Ausführungen allgemeiner Natur, die zweifellos ursprünglich nicht vorgesehen waren; Ausführungen über Ethik im Recht, sehr temperamentvoll übrigens, die aber besser ins Parlament als vor die Geschworenen gehört hätten. Und zwar war das, als unerwartet der Justizminister im Saal erschien.
    Beide Male fing sich Dr. Geyer bald wieder ein. Selbst die gegnerischen Zeitungen mußten konstatieren, daß das Plädoyer des bekannten Anwalts ein eindrucksvolles forensisches Schauspiel gewesen sei.
20
Ein paar Rowdys und ein Herr
    Am Tag nach der Verurteilung Dr. Krügers ging Johanna Krain auf dem Weg zu Dr. Geyer durch die Anlagen an der Isar. Kräftig, für den Geschmack der Zeit etwas zu voll, kamen die Beine aus dem mandelfarbenen, knappen Kleid, das kurz war, wie die Mode jener Jahre es vorschrieb. Sie hatte Zeit, schritt gemächlich, Sand knirschte unter ihren niedrigen Absätzen. Frischer Wind ging, die Stadt lag gut anzuschauen in dem heiteren, starken Licht der Hochebene, und Johanna liebte sie. Sie genoß den Weg, konstatierte nicht ohne Erstaunen, daß sie eigentlich nicht mehr zornig war. Sie ging stattlich, den frühen Sommer einschnuppernd, durch das helle Grün, unten floß rasch und stark der Fluß, sie war gelassen kampfmutig.
    Aus einem Seitenweg kamen vier Burschen, laut schwatzend. Einer trug eine Windjacke aus graugrünem Stoff. Sie beäugten das große Mädchen eingehend, pfeifend, einer fuchtelte mit einem dünnen Stock. Dann überholten sie sie, schauten sich mehrmals um, lachten mit betonter Munterkeit, lärmend, setzten sich auf eine Bank. Johanna Krain dachte daran, umzukehren, in einen Seitenweg einzubiegen. Aber nun starrten die vier auf sie, abwartend offensichtlich, was sie tun werde. Johanna ging weiter, an ihnen vorbei, ohne den Schritt zu beschleunigen. »Natürlich ist sie’s«, sagte der eine mit der Windjacke. Der mit dem Stock pfiff sehr laut, sie

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