Erfolg
Gutmütigkeit schon reichlich viele totgeschlagen in den letzten Jahren.« Er saß im Wagen, der Motor brummte. »Können Sie Jiu-Jitsu?« fragte er. Und da sie lachend den Kopf schüttelte: »Dann sollten Sie vielleicht doch mitfahren.« Er blinzelte aus verschmitzten, leicht schläfrigen Augen.
»Um halb zwölf muß ich aber bei meinem Anwalt sein«, sagte sie, den Fuß schon auf dem Trittbrett. »So ist es vernünftiger«, sagte er vergnügt, während sie sich neben ihn setzte und der Wagen losfuhr.
Zweites Buch
Betrieb
1
Ein Waggon der Untergrundbahn
Der Waggon 419 der Berliner Hoch- und Untergrundbahn, zur Hälfte rotlackiert mit roten Lederpolstern, zur Hälfte gelblackiert mit Holzbänken, war dicht gefüllt; denn es war die Stunde des Geschäftsschlusses. Aneinandergepreßt standen die Menschen, sich haltend an Strippen, den Sitzenden an die Knie gedrückt. Sie stießen sich mit Ellbogen, machten sich schmal, schimpften, entschuldigten sich. Einer, stark nach einem Antiseptikum riechend, lehnte den verbundenen Kopf mit geschlossenen Augen in die Ecke, eine lutschte Pralinen aus einer Tüte, eine ließ von Zeit zu Zeit ihre Handtasche oder eines ihrer vielen Pakete fallen. Ein hilflos Bebrillter stieß trotz ängstlicher Bemühung immer wieder seine Nachbarn, einer leerte mit geschicktem Griff die Tasche seines Nächsten, eine beschäftigte sich mit ihrem Lippenstift. Zwei junge Mädchen brachten ihre Umwelt durch ihre Tennisschläger in Unruhe, ein Blaubebluster durch ein großes, sägeartiges Instrument, von dem die meisten behaupteten, es dürfe nicht mit in den Wagen genommen werden.
Diese ganze Fuhre Mensch, kichernd, debattierend, Geschäfte machend, flirtend, nach Parfüm riechend, mit stumpfen, ausgelöschten Augen an der Strippe hängend, folgte mit gleichem, mechanischem Rhythmus den Bewegungen des sausenden Zuges, schwankte, schaukelte gleichmäßig, hin, her, bei starken Kurven, blinzelte mit dem gleichen Lidschlag, wenn die Bahn, im Schacht elektrisch belichtet, herauftauchte in die starke Sonne des Juniabends.
Viele lasen die kaum eine Stunde alten Spätabendzeitungen mit ihren Bildern und ihren heftig die Neugier stachelnden Schlagzeilen. »Attentat auf den Abgeordneten Geyer«, hießdie Schlagzeile des einen Blattes. Die andere Zeitung hingegen, diese Mitteilung in unscheinbaren Lettern auf der zweiten Seite bringend, behielt die Schlagzeile ihrer ersten Seite »Großen Unterschleifen sozialistischer Beamten« vor.
Aber ob in großen oder in kleinen Lettern, so viel konnten die Leser beider Zeitungen erfahren, daß am frühen Nachmittag in einer stillen Straße der Stadt München drei Individuen den Anwalt Geyer überfallen und mit Knütteln dergestalt zugerichtet hatten, daß er ohnmächtig und blutend liegenblieb. Die Täter waren entkommen. Die eine Zeitung war stürmisch entrüstet, daß in der Stadt München ein Mann derart am hellichten Tag überfallen werden konnte, und führte die Verwilderung der Sitten auf die wohlwollende Duldung der bayrischen Regierung zurück. Die andere gab nur eine leichte Verletzung des Dr. Geyer zu und vermutete, es handle sich um einen privaten Racheakt. Wer die provokatorische Art dieses Anwalts kenne, die sich erst im Prozeß Krüger wieder manifestiert habe, werde eine solche Züchtigung zwar nicht billigen, aber verstehen.
Dies also lasen die meisten Fahrgäste des Wagens 419 der Berliner Hoch- und Untergrundbahn am 28. Juni abends. »Das kommt davon«, dachte ein dicker, schwer atmender Herr, »daß er sich so exponiert hat. Ich mit meinem unzuverlässigen Herzen könnte mir solche Geschichten nicht leisten. Freilich macht es auch Reklame. Aber sie ist mit solchen Aufregungen zu teuer bezahlt.« Er wischte sich das schweißüberströmte Gesicht, beruhigte seinen Hund, der ihm nervös zwischen den Füßen herumfuhr, beschloß, sich auch in Zukunft wie bisher unter allen Umständen von politischen Prozessen fernzuhalten. »Das kommt davon«, dachte auch ein stattlicher Herr in einem jägermäßig aussehenden Anzug mit hohen Stiefeln. »Diese Juden sind selber schuld. Warum mischen sie sich in unsere Dinge ein, die sie nichts angehen?«
»München«, dachte ein Dicker mit einem massigen Spazierstock, »Brauereiaktien. Ob das keinen Einfluß hat? Wenn sie nicht weiter steigen, wird es nie etwas mit meinem Auto.«Zwei junge Menschen, die, die Köpfe gegeneinander geneigt, zusammen aus einem Zeitungsblatt die Nachricht gelesen hatten, sahen sich an,
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