Erfolg
bayrischen Wirtschaft. Das Land war befriedigt, als das Gerichtfeststellte, daß hier Schuld eines einzelnen vorlag, nicht eines altehrwürdigen, weithin geschätzten, neununddreißig Prozent Dividende ausschüttenden Unternehmens. Überdies zahlte die Direktion aus freien Stücken, abgesehen von den angefallenen Unterstützungsbeiträgen, eine Rente von weiteren 23,80 Mark an die Hinterbliebenen des verbrühten Arbeiters. Der schuldige Heizer Hornauer wurde zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.
Er nahm es mit der stieren, dumpfen Ausgelöschtheit eines Mannes hin, der nicht begreift. Denn er war viele Jahre hindurch in dieser Brauerei gewesen, hatte viele Jahre täglich zweimal diesen Hebel gedreht. Er hatte eine kränkliche Frau, zwei kümmerliche Kinder. Da lag nun das Begnadigungsgesuch.
Die Direktion und einige von den Hauptaktionären der Brauerei verkehrten in dem sehr feudalen Herrenklub, in dem auch Klenk manchmal seine Abende zu verbringen pflegte. Die ganze Sache war persönlicher als der Fall des Prokop Woditschka. War der Heizer Hornauer unschuldig, so waren die Geheimräte von Bettinger und Dingharder schuldig, angesehene, gewissenhafte Großbürger. Freilich auch der Reindl, dem es Klenk gerne gegönnt hätte. Der saß zwar nur im Aufsichtsrat der Kapuzinerbrauerei, war aber doch, wie jeder wußte, der Herr. Es war verlockend, einem an sich bedauernswerten Burschen ein paar Monate Gefängnis zu ersparen, besonders wenn man dem Reindl noch eins auswischen konnte. Aber andernteils handelte es sich um ein altverdientes Unternehmen, um die wichtigste bayrische Industrie, um allgemeine bayrische Belange. Klenk konnte sich die kleine Gaudi doch nicht leisten.
Des Justizministers Gedanken, während er etwas mechanisch, groß und deutlich hinschrieb: »Abgelehnt K.«, waren schon weiter, waren schon bei dem Vortrag, den er heute abend im Rundfunk halten sollte. Er hörte sich nicht ungern sprechen. Seine tiefe, joviale Stimme machte Eindruck, das wußte er. Was er war, wie er sprach, alles ging gut zusammen.Als Thema hatte er angekündigt »Die Ideale moderner Rechtspflege«. Und er gedachte, jetzt, gegen Ende des Prozesses Krüger und nach etwa einem Jahr seines Regiments, auszuspielen das Ideal einer wahrhaft volkstümlichen Justiz gegen die mißverstandenen Ideale starren, normativen, absoluten, römischen Rechts.
19
Ein Plädoyer und eine Stimme aus der Luft
Ein Plädoyer mußte man so anlegen, daß es auf die Gemütsart der Geschworenen wirkte. In der oberbayrischen Hochebene vor allem war es nicht sehr klug, an die Vernunft der Volksrichter zu appellieren: rechnen mußte man vielmehr mit ihrer dumpf musischen Einstellung. Dem Rechtsanwalt Dr. Geyer wäre es besser gelegen, scharf logische Gedankengänge zu entwickeln, mathematisch aufzuzeigen, wie schwache Argumente für die Schuld, wie starke für die Unschuld des Angeklagten sprachen. Aber er wußte, wie wenig Urteilskraft einer Masse im allgemeinen, wie wenig im besonderen einer Masse auf der bayrischen Hochebene zu eigen ist. Er stellte sich die Gesichter der Geschworenen Feichtinger, Cortesi, Lechner vor und war entschlossen, seine Nerven zu zügeln, seinen Ekel an dem ganzen System nicht laut werden zu lassen. Plattes Zeug zu reden, das diesem Volk ins Blut ging. Wenn den Abgeordneten und mehr noch den Mann Geyer sein Herz trieb, Scham, Ekel, Wut über den Zustand der bayrischen Justiz in die Welt hinauszuschreien, so hatte der Anwalt Geyer die Pflicht, seinen Mandanten zu retten, nichts sonst. Klugheit erforderte, sein brennendes Herz zu verstecken, Kontakt mit den Geschworenen zu halten.
Er ließ seine Gedanken locker, er durfte es sich gönnen. Er hatte sein Plädoyer klar disponiert. Sein Arbeitszimmer, trotz aller Mühen der Haushälterin Agnes, sah schon wieder ungeordnet und ungemütlich aus. Papiere, Bücher waren verstreut.Er hatte die Schuhe in diesem Zimmer ausgezogen statt im Schlafzimmer, jetzt standen sie kotig mitten im Raum. Der Rock, dessen er sich entledigt hatte, war über einen Stuhl geworfen. Ein Päckchen mit Schokolade lag unter den Akten, auf der Heizung stand eine halbgeleerte Tasse kaltgewordenen Tees, Zigarettenasche war überall.
Er legte sich auf die Ottomane; die nervösen Hände unterm Kopf verschränkt, starrte er zur Decke. Warum verteidigte er den Mann Krüger? Was lag ihm an dem Manne Krüger? Lohnte es, einen einzelnen zu verteidigen? Hatte er nicht Wichtigeres zu tun? Wer war der Mann Krüger, daß er
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