Erfolg
angenehm, zu leben. Ich schlage Ihnen eine Verständigung auf unsentimentaler Basis vor, Johanna Krain. Ich, Jacques Tüverlin, interessiere mich für den Fall Krüger, in dem Sie Spaß investiert haben, und Sie interessieren sich für meine Späße.«
Sie aßen in einem bäuerlichen Restaurant zu Mittag. Es gab eine dicke Suppe, ein kräftiges Stück Kalbfleisch, derb und kunstlos zubereitet, Kartoffelsalat. Der See lag weit und blaßfarbig, die Berge dunstig dahinter, es war windstill, die alten Kastanienbäume des Wirtsgartens standen unbewegt. Johanna wunderte sich, mit welchem Appetit der magere Jacques Tüverlin aß.
Hernach ruderten sie auf den See hinaus. Er strengte sich nicht an, bald ließ er das Boot treiben. Sie lagen faul auf dem See in der Sonne. Er blinzelte, sein Gesicht hatte etwas von einem vergnügten, dreisten Jungen. »Finden Sie mich schamlos«, sagte er, »daß ich alles heraussage?«
Sie erzählte ihm von ihrem Besuch bei Dr. Geyer. Für Jacques Tüverlin hatten Märtyrer etwas Komisches. Tätliche Angriffe gehörten im Fall des Dr. Geyer zum Risiko des Metiers. Daß Märtyrer einer Sache nützten, sei modischer Aberglaube; der Tod eines Menschen beweise nichts für seine Qualitäten. Ein Sankt Helena mache keinen Napoleon. Wer keinen Erfolg habe, pflege mit Martyrium zu argumentieren. Eine Sache mit Blut zu düngen, sei ein probates Mittel, aber es müsse das Blut des Gegners sein. Gerechtigkeit sei eine Folgeerscheinung von Erfolg. Immer sei die gerechte Sache identisch mit der erfolgreichen.
Dies erklärte der Schriftsteller Jacques Tüverlin dem Mädchen Johanna Krain in einem alten Ruderboot auf dem Ammersee. Johanna hörte ihm zu mit hochgezogenen Brauen, in ihrem bayrischen Gemüt verärgert, in ihrem Verstande von seiner saloppen, sachlichen Art nicht angenehm berührt. »Wollen Sie mir also im Falle Krüger helfen?« fragte sie, nachdem er schwieg. »Selbstverständlich«, erwiderte er faul, vom Boden des Bootes her, sie in aller Ruhe ungeniert auf- und abschauend.
3
Besuch im Zuchthaus
Die Fahrt nach der im Niederbayrischen gelegenen Strafanstalt Odelsberg war lang und unbequem. Der Ingenieur Kaspar Pröckl hatte sich erboten, Johanna hinzufahren. Sein Wagen, ihm von seiner Fabrik, den Bayrischen Kraftfahrzeugwerken, gestellt, hatte eine gute Maschine, aber er war unkomfortabel. Es regnete, es war ziemlich kalt. Das finstere, hagere Gesichtschlecht rasiert, saß Kaspar Pröckl, lederbejackt und mit lederner Mütze, in unschöner, gezwungener Haltung neben dem großen, frischen Mädchen und äußerte kantige Ansichten in schroffer Form, Johanna wußte nicht viel mit ihm anzufangen. Was er sagte, war scharf, fanatisch, willkürlich, nicht dumm.
Der junge Ingenieur, ungewandt in gesellschaftlichen Dingen, hatte sich eine Theorie zurechtgelegt, derzufolge er mit den Leuten, mit denen er zusammentraf, immer nur über ihre Angelegenheiten sprach, nie über die seinen oder gar über allgemeine Fragen. Denn gewöhnlich sind die Menschen über ihre eigenen Angelegenheiten unterrichtet, und darüber, schwerlich über anderes, kann man Sachkundiges und manchmal Wissenswertes von ihnen erfahren. Mit Johanna Krain also sprach er über Frauendinge, über Ehe, Frauenarbeit, Mode. Er machte sich erbittert lustig über die Ehe als eine dumme, kapitalistische Institution, höhnte über die Vorstellung, man könne einen Menschen besitzen . Kam darauf, wie lächerlich es sei, in der Welt nach dem Krieg die Fiktion der Dame aufrechtzuerhalten. Sprach sich freier, wurde wärmer, überzeugend, geradezu lustig wurde er, Johanna fand die kalte Wand einschmelzen zwischen ihm und ihr. Aber gleich darauf begann er mit dem Lenker eines Pferdefuhrwerks, der sein Signal nicht hörte und verspätet auswich, ein wüstes Gezänk. Lief rot an, brüllte. Die auf dem Fuhrwerk waren in der Überzahl und streitbar, eine Rauferei wurde gerade noch vermieden. Den Rest der Fahrt saß Kaspar Pröckl finster, schweigsam.
Die Formalitäten in der Strafanstalt waren langwierig. »Sind Sie mit dem Krüger verwandt?« – »Nein.« Der Beamte schaute nochmals nach dem Namen des Scheins. »Ach so.« Johanna, um ein Haar, wäre losgefahren. Dann stand man in kalten Büros und tristen Korridoren endlos herum, beäugt von neugierigen Schreibern, Wärtern. Aus einem vergitterten Fenster schaute man gelegentlich in einen Hof mit sechs kümmerlichen, eingemauerten Bäumen. Endlich wurde zunächst Kaspar Pröckl in den Sprechraum
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