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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Schlag gewußt, daß er nun vielleicht tödlich getroffen werden würde. Er hatte keine Angst gespürt in jenem Augenblick, war nicht zum Feigling geworden, war kalt geblieben in der Gefahr. War mit sich zufrieden.
    Es gab da freilich einen Punkt, der ihn drückte. Er hatte, als er sich umwandte, deutlich drei Burschen gesehen. Es war nur für den Bruchteil eines Augenblicks gewesen, daß er sie sah; zudem hatte der, auf den es ankam, verdeckt von den andern, den Kopf gesenkt gehalten. Dennoch glaubte der Anwalt, das Gesicht erkannt zu haben, ein windiges, freches, spöttisches Gesicht mit kleinen Rattenzähnen. Vielleicht auch war es nur Geträume, Fieberphantasie. Denn die Gedanken des Anwalts, so energisch er sich dagegen sträubte, gingen oft um dieses Gesicht. Sich größere Gewißheit zu verschaffen, wäre nicht schwer gewesen; er hätte nur dem untersuchenden Beamten den Namen des Versicherungsagenten von Dellmaier nennen müssen. Aber war der Windige wirklich beteiligt, dann wußte noch ein Dritter um das Attentat. Dies aber wollte Dr. Geyer nicht erfahren. Er zog es vor, im ungewissen zu bleiben.
    Im übrigen nahm er das Attentat nicht wichtig. Mit solchen Ungelegenheiten mußte jeder rechnen, der für eine Idee eintrat. Beinahe spürte er, wäre nicht das Gesicht gewesen,Genugtuung über sein Märtyrertum. Dachte er aber an das Gesicht, dann taten seine Wunden weh, dann bohrte ihm ein scharfes Instrument langsam durch den Schädel, dann brannten seine Augen unter den geschlossenen Lidern, und er lag, ein hilfloser, geschlagener Mensch.
    Johanna saß hell und ruhig zwischen den Fabrikmöbeln, aus denen das Schlafzimmer lieblos zusammengestellt war. Ihr war Koketterie zuwider, und die betonte Gleichgültigkeit, mit der Geyer von seinem Unfall redete, schien ihr selbstgefällig. Sie erwiderte wenig, lenkte bald über zu dem Fall Krüger, dessenthalb sie gekommen war.
    Martin Krüger hatte sich nämlich dagegen gesträubt, daß man Revision einlege. Johanna hatte angenommen, es sei ein komödiantischer Gestus, schmollende Auflehnung gegen das Schicksal: je schlechter es mir geht, so besser ist es. Aber sie war gegen Martins Haltung nicht aufgekommen; sein Fatalismus schien doch tiefer zu gehen. Sie hatte gehofft, daß die klaren Argumente des Anwalts mehr Eindruck auf Martin machen, ihn zu normalem Widerstand gegen sein blödes Pech bestimmen würden. Aber am vorletzten Tag, ehe die Revisionsfrist ablief, war Geyer überfallen worden. Sein Vertreter hatte bei Martin nichts ausgerichtet. Jetzt war der Termin vorbei, Martin ins Zuchthaus Odelsberg überführt.
    Nüchtern setzte Dr. Geyer die Lage auseinander. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens komme nach § 359 nur in Frage, wenn neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht würden, die das Gericht für geeignet halte, in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten zu begründen. Etwa wenn erwiesen werden könnte, der Chauffeur Ratzenberger habe einen Meineid geschworen. Er, Dr. Geyer, habe selbstverständlich das Naheliegende bereits getan und den Ratzenberger wegen Meineids angezeigt. Aber es sei äußerst unwahrscheinlich, daß die Staatsanwaltschaft Klage erheben werde, da sie ja klug genug sei, nicht einmal gegen sie, Johanna Krain, Klage zu erheben. Vielmehr sei man offenbar entschlossen, den ganzen Komplexals erledigt anzusehen. Auf eine Begnadigung hinzuarbeiten, sei vorderhand so gut wie aussichtslos. Die erbitterten Angriffe der außerbayrischen Presse auf das Schandurteil schadeten in dieser Hinsicht mehr, als sie nützten. »Juristisch also«, resümierte er sachlich, »kann man nichts für ihn tun.« – »Und auf anderem Weg?« fragte Johanna und richtete die großen, grauen Augen auf ihn, den ganzen Kopf langsam mitdrehend. Dr. Geyer nahm die Brille ab, schloß die rötlichen Lider, legte sich zurück; er hatte sich überanstrengt, wofür eigentlich? »Sie könnten vielleicht durch gesellschaftliche Beziehungen auf die Regierung einwirken«, sagte er schließlich ohne Schwung.
    Johanna Krain, während Geyer dies sagte, dachte merkwürdigerweise an einen fleischigen Kopf mit schleierigen, abwandernden Augen und einem kleinen Mund, aus dem eine langsame, behutsame Stimme kam. Sie fand den zugehörigen Namen nicht gleich; es war einer der Geschworenen, und er war ihr beigesprungen, als der Staatsanwalt sie so blöd bedrängte. Sie sah auf den Anwalt, der jetzt müde, schlaff, alt, sehr mager dalag; es war wohl Zeit,

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