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Erfolg

Erfolg

Titel: Erfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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finster angerührt, schwiegen, die Gesichter fast verstört. »Wenn ein Arbeiter von reaktionärem Lumpenpack verhauen wird«, sagte mit hoher, etwas fiebriger Stimme ein bebrillter, dünnberockter, junger Mensch zu zwei andern, »und das kommt alle Tage vor, dann nehmen sie keine so großen Typen.« Ein strammer Bursche in einer Windjacke sah feindselig hinüber, fragte sich, ob er sich einmischen solle, sah, daß er in diesem Waggon keine Überzahl haben werde, begnügte sich, drohend zu blicken. »Immer mit ihrer faden Politik«, dachte ein Mann mit einer Maske starrer Männlichkeit, einen riesigen Ring am Finger, und blätterte weiter zu dem Bericht über die gestrige Premiere, in der ein Fachkollege gespielt hatte.
    »Ich habe es immer gesagt«, meinte ein jüdischer Herr mit rascher, fettiger Stimme zu einer feisten Dame. »Man soll nicht nach Bayern zum Landaufenthalt gehen. Wenn sie es am Fremdenverkehr merken, werden sie keine solchen Zicken mehr machen.« – »Wenn die weiter solche Zicken machen«, sorgte sich ein bebrilltes Mädchen, »dann klettern die Butterpreise noch schneller. Jetzt kostet das Pfund schon 27,20 Mark. Ich kann sowieso für den Rest der Woche dem Emil unmöglich mehr auf die Frühstücksstulle was auftun.« – »Ob man ein empörtes Beileidstelegramm schicken soll?« überlegte ein blasser, vegetarisch aussehender Mann mit Zwicker und einer übergroßen, nach allen Seiten anstoßenden Aktenmappe. »Wenn ich es nicht tue, dann heißt es: Sie denken aber auch an gar nichts. Und wenn ich’s tue und es geht schief, dann fangen die Bonzen an zu meckern.«
    »Zeiten sind das!«, jammerte eine aufgeregte Dame, die die Nachricht, einem andern Fahrgast über die Schulter lugend, erspäht hatte. »Wer ist hingerichtet worden?« schrie ihre halbtaube, klapperige Mutter zurück. »Der Dr. Geyer.« – »Ist das der Minister, der die Inflation gemacht hat?« schrie vom andern Ende des Wagens die Mutter. Mehrere suchtensie aufzuklären, jemand bat indigniert um Ruhe. Es sei also doch der Minister, konstatierte befriedigt die Schwerhörige.
    An jeder Station stiegen Leute aus, gingen rasch dem Ausgang zu, zum Abendessen, zu einem Mädchen, einem Freund, ins Kino. Schon auf den Stufen hinauf in den Tag hatten sie den Zeitungsbericht vergessen, und das heftige Geschrei der Zeitungsverkäufer: »Attentat auf den Abgeordneten Geyer«, klang als etwas Abgelebtes, Langweiliges in die Ohren der Eiligen.
2
Einige abwegige Bemerkungen über Gerechtigkeit
    Johanna Krain trat, geführt von der Haushälterin Agnes, in das Schlafzimmer, in dem der kranke Anwalt Geyer lag. Die Haushälterin Agnes, mit einem ungeschickten Versuch, ihre quäkende Stimme zu dämpfen, erzählte lamentierend, daß mit Dr. Geyer so gar nicht zurechtzukommen sei. Erst den zweiten Tag aus dem Krankenhaus zurück, würde er am liebsten die Pflegeschwester fortschicken, um sogleich zur Arbeit aufzustehen. Für heute abend, trotz des ärztlichen Verbots, sei sein Sozius bestellt, für morgen der Bürovorsteher. Was er mit Johanna zu besprechen hat, werden sicher auch nicht nur Fragen der Krankenkost sein.
    Wie sie eintrat, schickte Geyer sogleich die Pflegeschwester hinaus. Johanna betrachtete mit sachlicher Freundlichkeit das fleischlose, mattfarbene Gesicht des Anwalts. Die Form des Schädels trat jetzt besonders deutlich heraus, die scharfe, dünnrückige Nase, die starke Stirn, die sehr hohlen Schläfen. Der Schädel war verbunden, die Wangen überflaumt von rötlichem Gekraus, die blauen Augen größer als sonst, matter. Kaum hatte die Krankenschwester sich entfernt, tastete er mit magerer Hand nach der Brille, die ihmverboten war. Sah, sowie er sich damit bewehrt hatte, sogleich dem früheren energischen Herrn ähnlicher.
    Er behandelte seinen eigenen Fall mit betonter Nebensächlichkeit. Machte sich lustig über das endlose Gewäsch der Zeitungen. Schlimm sei das Attentat ja nicht ausgegangen. Die Gehirnerschütterung sei so gut wie vorbei, die Schramme überm Aug ungefährlich; bleiben werde höchstens eine kleine Versteifung des Hüftgelenks.
    Er hatte, sowie er aus dem Fieber zu klaren Gedanken durchgestoßen war, beschlossen, die Sache vor sich selber nicht ernst zu nehmen. Wenn er sich alle Einzelheiten zurückrief, durfte er sich bezeugen, er hatte sich gut gehalten. Er hatte, als er in der stillen Straße heftige Schritte hinter sich hörte, sich umgewandt, hatte eine winzige, doch für ihn nicht kurze Zeit schon vor dem

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