Erfolg
geführt.
Johanna wartete. Als Kaspar Pröckl wiederkam, sagte er, er könne es hier nicht länger aushalten. Er werde sie dann vor dem Haupttor treffen. Er schaute eifrig, angeregt, weniger finster als sonst.
Johanna, wie sie den Mann Krüger sah, erschrak. Sie hatte damit gerechnet, daß er heruntergekommen aussehen werde. Nicht, daß der ehemals glatte, beinahe feiste Mann jetzt schlotterig dastand, mit grauer, überstoppelter Haut, schlaff von Gliedern und ohne Glanz der Augen, erschreckte sie. Vielmehr war es dies, daß er so friedsam lächelte. Jammern hätte sie ertragen, mit Klagen wäre sie fertig geworden, aber das ruhige Lächeln aus diesem grauen Gesicht heraus wirkte wie aus einem Grab. Dieses Sichfügen in die Vernichtung, schaubar an einem Menschen, den sie so stürmisch lebendig gekannt hatte, nahm ihr Wort und Haltung.
Dr. Geyer hatte ihr erzählt, am zweiten Tag nach seiner Überführung habe Krüger einen Tobsuchtsanfall gehabt, der in einem schweren Herzkrampf endete. Der Arzt war geneigt, den Anfall für Simulation zu erklären. Da aber in letzter Zeit mehrere Male Anfälle von Simulation zum Erstaunen des Arztes mit dem Tod des Simulanten geendigt hatten, war Krüger vorsichtshalber ins Hospital gebracht worden. Dr. Geyer stellte fest, daß seine Behandlung auch nach seiner Wiederherstellung schonend geblieben war. Er hatte den Eindruck, hatte der Anwalt Johanna erzählt, Krüger staune an seinem Schicksal so hilflos herum wie ein Tier, das in Gefangenschaft geraten sei. Ihn so zu finden, damit also hatte sie gerechnet. Nun aber stand, durch ein Gitter von ihr getrennt, ein ganz anderer vor ihr, ein grauhäutiger, alter, verwester, fremder Mann, merkwürdig friedsam lächelnd. Mit diesem Mann hat sie Reisen gemacht? Mehrmals? Mit ihm geschlafen? Das war der gleiche Mensch, der den Bürgermeister jener Provinzstadt spitzbübisch zu dem spaßigen Toast gezwungen hatte? Der in der Odeonbar einen repräsentativ aussehenden Herrn geohrfeigt hatte, weil ihm seine unflätigen Äußerungen über den Dichter Wedekind auf die Nerven gingen?
Er freue sich sehr, daß sie da sei, sagte der Mann hinter dem Gitter. Er vermied es, über Tatsächliches aus seinem Leben zu berichten. Er sei nicht unglücklich. Er sage nicht ja zu den Dingen und nicht nein. Nach Arbeit sehne er sich nicht. Er finde, was er gemacht habe, Dreck. Es sei höchstens eines, worüber zu schreiben sich lohne, darüber habe er mit Kaspar Pröckl gesprochen. Es sei gut von ihr, daß sie um seine Freilassung kämpfe. Es werde von ihr und Geyer sicher alles bestens erledigt werden. Er glaube, seine Lage sehe von außen schlimmer aus als hier zwischen den Mauern. Sein graues, mattes Gesicht mutete sie, während er diese gelassenen Dinge sprach, weniger willkürlich an, als wenn er früher manchmal Behauptungen mit feuriger Entschiedenheit vertreten hatte. Er sprach vag, friedlich, höflich, nichtssagend. Der Wärter fand keine Gelegenheit einzugreifen. Sie war froh, als er schließlich erklärte, die Zeit sei um. Der schlaffe Mann mit dem grauen Gesicht gab ihr durch das Gitter die Hand, verneigte sich mehrere Male. Erst ganz zuletzt, nach so vielen Veränderungen, bemerkte sie, daß er auch kurzgeschoren war.
Über lange Korridore, laufend fast, suchte sie den Ausgang, das Haupttor. Diese Ruhe war grauenvoller als der schlimmste Tobsuchtsanfall. Sie hatte den falschen Weg genommen und mußte zurück. Durch das Fenster sah sie im Regen den Hof mit den sechs kümmerlichen, eingemauerten Bäumen. Ein Wärter in einem Tiergarten hatte ihr einmal erklärt, die Tiere spürten die Gefangenschaft nicht. Liefen sie im Käfig auf und ab, so hätten sie, zehntausendmal sechs Meter laufend, immer das gleiche Gefühl, wie wenn sie sechzig Kilometer Distanz machten. Eine Löwin, die geworfen hatte, trug ihr Junges den ganzen Tag hin und her, offenbar weil sie es möglichst weit von der ursprünglichen Höhle entfernen wollte, um es dem freßgierigen Vater zu entziehen. Woran das Tier glaubte, war also der Weg, nicht die Distanz.
Der Anwalt hatte recht, schien es: Martin Krüger verstand von seiner Lage so wenig wie ein eben eingefangenes Tier.
Kaspar Pröckl war erfüllt von der kurzen Unterredung. Sein knochiges Gesicht mit den tief in die Stirn gewachsenen Haaren war groß bewegt. Er fand den Mann Krüger im Aufstieg. »Er beißt sich durch«, sagte er eifrig. »Sie werden sehen, er beißt sich durch.« Die eine Sache, um die es lohne und über
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