Erfolg
Eindruck. Er habe Weisung gegeben, den Triebschener möglichst gut zu behandeln. Ihm selber, wie gesagt, gefalle der Mann; er beabsichtige, einiges durch ihn arbeiten zu lassen. Die Uhr am Dom von Münster sei eine feine Sache. Aber auch in einer gewissen früheren Freien Reichsstadt im bayrischen Franken gebe es eine Turmuhr, die seit dem Dreißigjährigen Krieg nicht mehr funktioniere. Er habe da ein Bild dieser Uhr. Ob Dr. Geyer es sehen wolle? Hier könne sich der Triebschener betätigen.
Der Anwalt hörte still zu, voll tiefer Wut. Auch er hatte den Strafgefangenen Triebschener gesehen. Der war ein ruhiger Mann, hager, mit dichten Haaren von solcher Fahlheit, daß man nicht unterscheiden konnte, waren sie weiß oder blond. Wahrscheinlich waren sie weiß, dachte der Anwalt jetzt. Dr. Geyer verstand etwas von Gerechtigkeit und Menschlichkeit, aber nicht verstand er sich auf den einzelnen Menschen. Es war nicht unmöglich, daß der Klenk recht hatte, und dies füllte den Anwalt mit einer machtlosen Wut. Er erwiderte nichts auf die behaglich überlegenen Reden des Klenk, tat sie ab mit einem geradezu ungezogenen Achselzucken.
Der Klenk reagierte nicht, blieb gelassen sitzen, verbindlich abwartend, ob Dr. Geyer noch zwecks anderer Dinge gekommen sei. Ja, der Anwalt, während er seine nervösen Finger durch feste Umklammerung der Krücke ruhig zu halten suchte, fragte unvermittelt, ziemlich unbeholfen, ob allenfalls ein Begnadigungsgesuch für den Dr. Krüger jetzt Aussicht auf Erfolg habe. Dr. Klenk erwiderte nachdenklich, sehr höflich, er habe sich den Fall selbst schon durch den Kopf gehen lassen. Die oppositionelle Presse, das sage er dem Herrn Rechtsanwalt vertraulich, habe ihm seine Stellungnahme sehr erschwert; denn jetzt sei die Sache so aufgebauscht, daß er ohne Billigung des Gesamtministeriums nichts unternehmen möchte. Er betrachtete mit wohlwollendem Hohn den Anwalt, der riesige, knöcherne Mann mit den braunen, vergnügten Augen in dem langen, gegerbten Kopf den schmächtigen, abgezehrten, dem Röte das Gesicht fleckte, so arbeitete er sich ab vor Haß.
Der Diener brachte die prallen, weißlichgrauen Würste und die Flasche Sherry. Der Justizminister meinte, als Beamter habe er dem Herrn Abgeordneten nichts mehr zu sagen; wohl aber möchte er vom Menschen zum Menschen diese Unterredung fortsetzen. Ob er den Rock wechseln dürfe? Er fühle sich unbehaglich in dem schwarzen Fetzen. Und er vertauschte den Überrock mit der Lodenjoppe, die er liebte. Dann nochmals bot er dem Anwalt von seinen Würsten an, schenkte sich ein Glas von dem starkriechenden, gelben Wein ein, stopfte umständlich die Pfeife. Er habe also den ausgezeichneten Aufsatz des Herrn Dr. Geyer in den »Monatsheften« gelesen. Praktisch komme nicht viel heraus bei solchen Abstraktionen und Begriffsbildungen. Immerhin, auf der Jagd, auf dem Anstand, des Morgens im Bad, auf längeren Autofahrten mache er sich zuweilen einen Sport daraus, über Fragen, über die er sich in seinem Instinkt und vor seinem Gewissen im klaren sei, auch vor seinem Verstand begrifflich ins reine zu kommen. Er sog das Fleisch aus der Wursthaut, wischte sich den Mund, trank in kleinen, genießerischenSchlucken von seinem Wein. Um es also deutlich zu sagen, wie es sei, so habe er manchmal den Eindruck, als ob der Dr. Geyer mit gewissen bösartigen Formulierungen allgemeiner Art auf ihn, Klenk, hinziele. Aber das sei gefehlt. Treffe ihn in keiner Weise. Er gebe zu, es sei nicht einfach, in seiner Situation und auf diesem Teil des Planeten maßgeblich zu entscheiden. Bayern oder Reich, Staat oder Recht, Rechtssicherheit oder Gerechtigkeit: er möchte fast sagen, soviel Buchstaben soviel Probleme. Aber um sich zwischen diesen Problemen zurechtzufinden, brauche er nicht einmal die Stütze katholischer Rechtsphilosophie, die doch in einem Zeitalter der Machtpolitik als einzige die Courage habe, sich der brutalen Tatsachensumme nicht unbedingt zu fügen.
Dr. Geyer, erregt, hörbar atmend, hielt es nicht mehr aus auf seinem Stuhl. Er stand auf, hinkte an seinem Stock durchs Zimmer, lehnte sich schließlich in einer sonderbar unnatürlichen Haltung, auf die Krücke gestützt, an die Wand, fast wie hingeklebt. Der Minister, essend, trinkend, fuhr leichthin, gleichmütig fort. Er, Klenk, wisse mit naturwissenschaftlicher Sicherheit, was er tue, sei gut für dieses Land Bayern. Es passe zu dem Land, sei gut wie seine Wälder und seine Berge, gut wie seine Menschen, seine
Weitere Kostenlose Bücher