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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Kilpi
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trauernde Person den größten Anteil an der kollektiven Trauer für sich beanspruchen kann. Man sucht nach Schuldigen und Gründen. Dabei bekommt auch die Polizei ihr Fett weg. Ihre Kompetenz und Glaubwürdigkeit wird infrage gestellt wie nie zuvor und die Schlagzeilen der Boulevardzeitungen fordern bereits personelle Konsequenzen. Interessant ist dabei, dass der Täter selbst in der Diskussion über Ursachen und Folgen kaum Beachtung findet. Als wäre er der kleinste Faktor, nur ein obligatorisches Gewürz in der trüben Suppe.
    Wenn Olli in Hörweite ist, wird auf dem Revier kaum über den Fall gesprochen. In der Kaffeepause äußern einige kritische Kollegen ihre Meinung, doch ihre Kritik richtet sich nicht gegen Olli, sondern gegen Tossavainen. Es gibt nicht viele, die Verständnis für ihn aufbringen. Warum hat er nicht geschossen, als er die Gelegenheit dazu hatte? Noch dazu eine blendende Gelegenheit. Hat den Tod eines unschuldigen Kindes verursacht. Jeder andere hätte den Kerl abgeknallt, ohne eine Sekunde zu zögern.
    Unweigerlich kommt Olli in den Sinn, was er an der Polizeischule über die Vorschrift zum Waffengebrauch gelernt hat. Darüber, dass man auf einem schwankenden Ast sitzt, wenn man zur Waffe greift. Nun ist Tossavainen sozusagen von diesem Ast heruntergefallen. Und andererseits auch wieder nicht. Dieselbe Dienstvorschrift verbietet nämlich ausdrücklich, auf einen Flüchtigen zu schießen, sofern nicht damit zu rechnen ist, dass er eine unmittelbare Gefahr für andere Personen darstellt. Der Killer schien keine Waffe bei sich zu haben – Olli hat sie jedenfalls nicht gesehen –, und er rannte auf den Wald zu, wo er niemanden in unmittelbare Gefahr bringen konnte. Dass sich dort ein Kind aufhielt, wusste zu dem Zeitpunkt niemand. Von der bevorstehenden Tragödie konnte keiner etwas ahnen.
    »Was machst du denn hier?«, fragt Hauptmeister Raivola, der Schichtleiter, als er Olli im Pausenraum entdeckt.
    »Ich? Wieso?«, fragt Olli verdutzt zurück.
    »Hat man dich nicht angerufen?«
    »Angerufen? Warum?«
    »Du hast frei.«
    »Frei? Nein. Wieso frei?«
    »Bis nächste Woche, dann beginnt deine Einarbeitung bei der Kripo. Du fängst im Gewaltdezernat an.«
    »Warum?«, fragt Olli bestürzt. »Das steht doch erst viel später auf dem Programm.«
    »Wir mussten umdisponieren«, entgegnet Raivola düster.
    »Wo ist Tossavainen?«, will Olli wissen.
    »Der kommt nicht zur Arbeit.«
    »Kommt nicht zur Arbeit?«
    »Er ist krankgeschrieben. Auf unbestimmte Zeit.«
    Die Bemerkung löst im Pausenraum unterschiedliche Reaktionen aus: bedeutungsvolle Blicke, ein gemurmeltes »Was habe ich euch gesagt?«, leises, fast unhörbares Schnauben, verächtliches Kopfschütteln. Auf unbestimmte Zeit krankgeschrieben. Das klingt irgendwie besonders schwerwiegend. Als wäre es ganz und gar nicht sicher, dass Tossavainen je wieder ganz gesund wird.
    »Du warst nicht beim Traumanachgespräch, habe ich mir sagen lassen«, bemerkt Raivola vorwurfsvoll.
    »Nein«, antwortet Olli. Er weiß, dass er gegen die Vorschriften gehandelt hat.
    »Warum nicht?«
    »Ich hatte es eilig, nach Hause zu kommen«, erwidert Olli und überlässt es seinem Gesichtsausdruck, Raivola zu erklären, wo er seinen psychischen Stress abgebaut hat.
    »Du musst es ja wissen«, schnaubt Raivola und gießt sich Kaffee ein. »Aber diese Sitzungen werden nicht ohne Grund angeboten.« Er knallt die Kaffeekanne auf die Warmhalteplatte und marschiert hinaus.
    Olli sieht ihm nach. Er hat das Gefühl, einen Riesenfehler begangen zu haben. Allerdings ist ihm unklar, ob sein Fehler darin besteht, dass er nicht zum Psychologen gegangen ist, oder darin, dass er sich über die Vorschriften hinweggesetzt hat.
    Olli braucht keine Nachgespräche und erst recht keine freien Tage. Er braucht etwas zu tun, kann jetzt nicht still stehen, denn das Monster ist immer noch unterwegs. Er hängt seine Uniform in den Schrank und zieht seine Zivilkleidung an. Dann geht er eine Etage höher.
    Das Büro des Gewaltdezernats ist ein großer Raum, der mit Schränken und Wandschirmen in Arbeitsecken für die einzelnen Ermittler unterteilt ist. Rechts neben der Tür befindet sich eine Sitzecke zum Kaffeetrinken, wie es sie im Polizeigebäude massenhaft zu geben scheint.
    Irgendwer geht zu seinem Schreibtisch, ohne von Olli Notiz zu nehmen. Gleich darauf wird eine Frau, die etwas weiter entfernt sitzt, auf ihn aufmerksam.
    »Was suchen Sie hier?«, ruft sie und steht auf.
    »Ich bin

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