Erfrorene Rosen
schüttelt alles Äußerliche, Überzählige ab, wenn sie dazu Gelegenheit hat. Eigentlich haben Anna und Olli die räumliche Distanz schon überraschend lange ausgehalten.
Die Trommelschläge werden spärlicher, dann sinkt der kleine Kopf auf den Tisch. Das Sandmännchen war da, das Bett ruft. Anna hebt den einen müden Kämpfer aus seinem Stühlchen und lässt den anderen in der Küche zurück. Das breiverschmierte Gesicht abwaschen, die Windel wechseln, das Kind ins Bett legen. Ein Weilchen streicheln und schon schläft Eetu. Anna lässt die Augen auf dem entspannten Kindergesicht ruhen. Als sie in die Küche zurückkommt, findet sie Olli an derselben Stelle und in derselben Haltung vor wie beim Weggehen. Was geht ihm durch den Kopf? Sie wendet sich ab. Ohne dass sie es will, tauchen Schreckensbilder auf: Hat Olli eine andere kennengelernt? Eine Bessere, Schönere? Alles ist möglich.
Olli dreht sich zu Anna um. Sie zuckt zusammen. Obwohl sie mit dem Rücken zu ihm steht, weiß sie, dass er sie anblickt. Sie sieht sein Spiegelbild im Fenster. Er schwankt ein wenig und sieht ganz fremd aus, als hätte er etwas getan, was zu schlimm ist, um es in Worte zu fassen. Anna wagt nicht, sich umzudrehen.
»Öhm«, beginnt Olli verlegen.
Anna seufzt und dreht sich um. Ollis Verlegenheit wächst. Er kann Anna nicht in die Augen sehen. Er denkt eine Weile nach und senkt dabei den Blick auf die Fußleisten. Je unbehaglicher Olli wirkt, desto weniger ist Anna gewillt zu hören, was passiert ist, denn sie weiß, dass die Bedrückung dann auch auf sie übergreift. Sie will gehen, bringt es dann aber doch nicht fertig. In so einer Situation darf sie nicht weglaufen. Im Gegenteil.
»Wollen wir heiraten?«, fragt Olli plötzlich.
Die Frage hängt in der Luft. Als wäre sie aus einem anderen Zusammenhang ausgeschnitten und blindlings auf diese Situation aufgeklebt worden. Was ist passiert? Anna muss sich verhört haben. Olli hat etwas gesagt oder gefragt, das ja, aber Anna hat etwas ganz anderes gehört. Halluziniert sie etwa?
Auch Olli scheint verwirrt, wenn nicht gar erschrocken, er wundert sich selbst über das, was er gerade gesagt hat. Aber er weiß, dass die Frage ehrlich gemeint ist. Sie ist von tief unten hervorgesprudelt, von allein, unaufhaltsam.
»Ich hätte es schon vor einer Ewigkeit tun sollen«, fährt Olli nach einer unerträglich langen Pause fort und starrt wieder die Fußleiste an. »Aber ich bin nun mal so, ich kapier nicht immer. Heute habe ich es endlich begriffen. Es musste erst so etwas passieren, um mich aufzurütteln.« Wieder taucht das Bild von dem Jungen im Birkenwäldchen vor seinen Augen auf. »Es ist so ungerecht dir gegenüber. Ich könnte es dir nicht mal übel nehmen, wenn du schon vor ewigen Zeiten abgehauen wärst. Grund genug hättest du bestimmt gehabt.«
Anna starrt Olli unverwandt an. Erschüttert, leicht zitternd und mit angehaltenem Atem. Eine Träne rollt ihr aus dem Augenwinkel. Olli holt ein paarmal tief Luft. Anna regt sich nicht. Olli tritt einen Schritt vor und nimmt sie in die Arme. Erst jetzt spürt er, wie heftig sie zittert. Er muss sie noch fester an sich drücken.
»Also … Willst du meine Frau werden?«, fragt Olli leise, er muss schlucken, bevor er den Satz beenden kann, denn ihm sitzt ein Kloß im Hals.
Anna holt tief Luft und bricht in Tränen aus; bebend drückt sie sich an Olli. Sie braucht ihre Antwort nicht auszusprechen. Plötzlich versteht Olli die volle Bedeutung seiner magischen Frage. Es ist, als hätte er Anna endlich aus dem quälenden Fegefeuer befreit, ihr endlich gesagt, dass sie ihm gut genug ist. Bisher hatte er nie an so etwas gedacht. Anna war für ihn eine Selbstverständlichkeit gewesen.
Von irgendwoher ist Musik zu hören, Musik, die niemand spielt. Es ist Weinen. Eetus niedliches, verschlafenes Weinen, das sich merkwürdigerweise in eine den Ohren schmeichelnde Musik verwandelt hat. Diese Musik löst die beiden ineinander verschlungenen Menschen vom Alltag, entführt sie in eine andere Wirklichkeit. Es erscheint ihnen ganz natürlich, dass Eetus Weinen das Einzige ist, was sie erreicht. Einen Augenblick lang verharren sie noch in ihrem schwebenden Glück.
Ihr Haus ist merkwürdig. Eine leise Unordnung herrscht darin, eine leichte Unlogik. Auf den ersten Blick hat man den Eindruck, irgendetwas stimme nicht. Bei genauerem Hinsehen merkt man, dass es keine gleichartigen Teppiche gibt, keine Möbelstücke in einheitlichem Stil. Nicht ein
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