Erfrorene Rosen
notwendiges Übel, etwas, was man irgendwann eben tun muss. So ähnlich wie scheißen, das muss man auch, ob man will oder nicht. Wenn einer stirbt, dann stirbt er, was gibt es da groß zu rätseln? Was man vorher getan hat, darauf kommt es an.«
»Und eine andere Denkweise gibt es nicht?« Olli ärgert sich über Tossavainens Engstirnigkeit. »Glaubst du etwa, alle denken so wie du? Was ist mit dem kleinen Jungen im Wald, warum musste gerade er sterben, warum musste sein Gleitflugzeug ausgerechnet zu dem Killer fliegen? Und weshalb war der ein halbes Jahr nach seiner vorigen Tat schon wieder auf freiem Fuß? Welchen Zweck hat sein Leben? Warum musste das alles so kommen?«
»Halt bloß die Schnauze, Mann!«, brüllt Tossavainen und funkelt Olli wütend an.
Olli starrt herausfordernd zurück, bis ihm klar wird, dass er zu weit gegangen ist. Es war falsch, den kleinen Jungen zur Sprache zu bringen. Seit dem unglückseligen Fall hat Tossavainen sich immer wieder mit genau der Frage herumgeschlagen, die Olli ihm gerade gestellt hat: Warum? Warum musste es so kommen? Die Frage rumort in seinem Kopf, und wenn er nicht ab und zu auch an anderes denken müsste, wäre er vermutlich längst verrückt geworden.
»Woher zum Teufel soll der Kerl wissen, wer das richtige Opfer ist?«, fragt Tossavainen leise, nachdem er sich ein wenig beruhigt hat. Allerdings verrät seine heisere Stimme, wie sehr es in ihm brodelt.
»Er weiß es nicht«, erwidert Olli. »Woher auch? Also muss er es herausfinden. Ein Zeichen erkennen. Alle Menschen auf diesen Fotos sind ihm in irgendeiner Weise aufgefallen, deshalb interessiert er sich für sie. Nun muss er die Sache endgültig klären, damit er weiß, wer von ihnen der Richtige ist. Kann natürlich auch sein, dass er kein Zeichen findet. Wird er trotzdem töten?«
»Auf welcher Basis ziehst du eigentlich diese ganzen Schlüsse über den Täter?«, unterbricht Kylmänen Ollis Argumentation, denn ihm ist plötzlich klar geworden, dass der Praktikant die Führung übernommen hat. »Woher willst du all das wissen?«
Bei Kylmänens Bemerkung schreckt Olli auf und merkt, dass er sich von seinen Ideen hat mitreißen lassen, ohne sich zu fragen, ob er das Recht und die Qualifikation besitzt, ein Täterprofil zu erstellen.
»Ich habe früher in einer Werbeagentur gearbeitet. Als Art Director«, gesteht er zögernd. »In diesem Job musste ich das Verhalten der Menschen studieren, um wirksame Werbekampagnen zu planen. Um die Leute dazu zu bringen, die Sachen zu kaufen, sich so zu verhalten, wie ich es wollte. Ich war ziemlich gut in meinem Beruf, und zwar, weil ich wusste, wie die Leute ticken.«
Olli merkt plötzlich, dass seine Vergangenheit sich mit der Gegenwart verbündet. Bisher war ihm nicht bewusst geworden, welche Trümpfe er von Anfang an in der Hand gehabt hat und wie nützlich die Erfahrungen aus seinem früheren Leben für die Polizeiarbeit sein können.
Kylmänen starrt Olli ungläubig an. Er kann nicht begreifen, wieso Olli einen gut bezahlten Job aufgegeben hat, um sich in eine bürokratische, kühle Maschinerie einzuordnen, in der einzelne Erfolge mit doppelter Arbeitsbelastung und Kollegenneid belohnt werden. Fragend sieht er Tossavainen an, der belustigt mit den Schultern zuckt.
»Wir haben es also höllisch eilig«, sagt Kylmänen und billigt damit vorläufig Ollis Schlussfolgerungen. »Wir müssen alle diese Leute finden, bevor unser Täter sie entdeckt. Und er hat einen gewaltigen Vorsprung.«
»Aber er unternimmt ja sowieso nichts, bevor das Gericht wieder ein scheinbar blödsinniges Urteil fällt«, wendet Tossavainen ein.
»Das stimmt nicht unbedingt«, widerspricht der Kommissar. »Wir sind nicht die Einzigen, die es eilig haben. Da wir den Fall an die Öffentlichkeit gebracht haben, weiß unser Mann, dass er jederzeit geschnappt werden kann, und dieses Risiko ist jetzt wesentlich. Er kann nicht mehr auf das nächste Gerichtsurteil warten, um seine Aktion zum Abschluss zu bringen.«
»Man könnte meinen, dass wir ihn unter Druck setzen«, sagt Olli und merkt, dass er den Fall aus exakt derselben Perspektive betrachtet wie eine Marketingstrategie. »Aber in Wahrheit läuft wahrscheinlich alles genau so ab, wie er es will.«
»Wieso?«, fragt Tossavainen.
»Vielleicht hat er genau das gewollt«, sinniert Kylmänen, dem Ollis Überlegung einleuchtet. »Dass wir die Geschichte publik machen, dass die öffentliche Meinung sich mit dem Problem befasst und auch, dass wir
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