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Erfrorene Rosen

Erfrorene Rosen

Titel: Erfrorene Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Kilpi
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seine Ziele und seine Denkweise erkennen. Durchaus möglich, dass er die Zeitungsausschnitte und die Fotos absichtlich zurückgelassen hat, sodass wir sie finden. Vielleicht braucht er sie nicht mehr.«
    Im nächsten Moment erstarrt er. Seine Gedanken eilen weiter als Ollis und plötzlich erkennt er eine weitere Dimension. Er sieht, dass er an der Nase herumgeführt worden ist.
    »Das ist Erpressung«, erklärt er fast mutlos. »Mit diesen Fotos werden wir erpresst. Das Kärtchen an dem Blumenstrauß war nicht für den Patienten bestimmt, sondern für uns. Er hat dafür gesorgt, dass die Uhr tickt. Er gibt der Gesellschaft eine Chance, das Problem zu beheben, bevor er sein Opfer findet.«
    »Und wie viel Zeit uns dafür bleibt, hängt vom Schicksal ab«, begreift nun auch Olli.
    »Aber auch von uns«, korrigiert Kylmänen. »Wir müssen die Fotos veröffentlichen. Um Hinweise bitten und die Abgebildeten auffordern, sich bei der Polizei zu melden.«
    »Das gibt ein gewaltiges Chaos«, klagt Tossavainen.
    »Ja«, nickt Kylmänen. »Aber uns bleibt keine andere Wahl. Im Übrigen kann auch diese Taktik völlig falsch sein.«

Zehntes Kapitel

    Im Herbst trifft der Morgen von Tag zu Tag zögerlicher ein. Zweifellos geht irgendwo die Sonne auf, doch die herbstlich graue Haube, die sich über die Erde stülpt, lässt nur winzige Lichtstrahlen durch. Natürlich hat auch der Herbst seine Momente. Wenn sich das Laub bunt färbt und leuchtet, wenngleich nur für kurze Zeit. Aber das ist nichts als Schwindel. Einen Augenblick lang mag der Betrachter den Herbst für schön halten, ihn vermissen, wenn er vorbei ist. Begreift er denn nicht, wem er nachtrauert? Dem Tod. Herbst bedeutet Sterben. Seine Farbenpracht entspringt der Gewohnheit der Natur, prachtvoll zu sterben. Was bleibt denn von diesen Todeszuckungen übrig? Eine unermessliche Menge toter Blätter. Leere schwarze Wälder. Die Farben, die gerade noch so prächtig leuchteten, verschwinden spurlos. Zurück bleibt nur Grau. Und trotzdem behauptet immer irgendwer, er sehne sich nach dem Herbst.
    Aus dem Dunkel ragt ein Haus auf, dessen Bewohner trotz der grauen Jahreszeit auch heute aufgestanden sind. Das warme Licht, das aus den Fenstern dringt, pulsiert vor Leben und Wärme, als hätte sich ein Stück Sonne in diesem Haus eingenistet und mache es zu einem Leuchtturm der Hoffnung inmitten eines furchtbaren Sturms. Im Herzen dieses Leuchtturms – in der Küche – wird gerade die erste Mahlzeit des Tages eingenommen. Das Frühstück, das vor den sechsjährigen Zwillingen steht, löst bei dem Mädchen keine Begeisterung aus. Die Mutter schiebt das mit Wurst und Gurken belegte Brot und die Kakaotasse näher an das Mädchen heran und zeigt auf den bereits eifrig kauenden Bruder. Der Anblick überzeugt die Schwester jedoch nicht von der Schmackhaftigkeit des Frühstücks; sie schiebt Teller und Tasse so heftig zurück, dass der Kakao überschwappt. Die Mutter kommt nicht dazu, das Mädchen zu tadeln, denn nun betritt der Vater die Küche, noch damit beschäftigt, sich die Krawatte zu binden. Er fragt etwas und zeigt dabei auf den Schlips. Die Mutter schüttelt den Kopf.
    Der Vater lässt die Schultern sinken. Offensichtlich hat er die Krawatte mit Bedacht ausgesucht. Die Mutter fragt etwas, zeichnet mit dem Finger Muster in die Luft. Daraufhin zuckt der Vater verdrossen die Achseln und verlässt die Küche, wobei er, nach den Mundbewegungen zu schließen, vor sich hin schimpft.
    Die Schwester dreht sich zu ihrem Bruder um und erstarrt. Von ihrem Brot ist nichts mehr übrig, der Junge stopft sich gerade den letzten Rest in den Mund und grinst schadenfroh. Das ist der Auftakt zu einem lautstark ausgetragenen Streit. Die Mutter seufzt, lehnt sich an den Herd und stemmt die Arme in die Hüften.
     

    Ein Lichtkegel huscht durch einen schmalen Spalt zwischen den schweren dunklen Vorhängen und wandert über die leeren Wände der Wohnung. Dann verschwindet er, die Bremsleuchten des vorbeifahrenden Wagens zucken kurz auf und verschwinden hinter der Kurve.
    Ein Auge blickt durch den Spalt nach draußen, dann wird der Vorhang fest zugezogen.
    In dem nur schwach erleuchteten Zimmer setzt sich eine dunkle Gestalt an den Tisch. Tisch und Stuhl sind die einzigen Möbelstücke in der kargen Zweizimmerwohnung. Sämtliche Fenster sind mit Behelfsgardinen verhängt, die aus Decken und Stoffbahnen zusammengenäht worden sind und nur die eine Aufgabe haben, Blicke von außen abzuwehren. Licht

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