Erfrorene Rosen
weniger als teuflisch sind.
Da fällt Ollis Blick auf den Bildschirm, wo er einen interessanten Bericht entdeckt.
»Hier ist was zu dem Thema«, erklärt er, während er versucht, die Geschichte möglichst schnell zu überfliegen. »Ein Palästinenser war nach New York gereist, um seine Ersparnisse günstig anzulegen, wurde aber betrogen und verlor sein gesamtes Vermögen. Vollkommen erschüttert ging er mitten am Tag ins Empire State Building und fing an, blindlings um sich zu schießen. Trotz unzähliger Schüsse wurde nur ein einziger Mensch tödlich getroffen. Ein siebenundzwanzigjähriger dänischer Tourist, der sich rein zufällig in dem Gebäude aufhielt. Zum Schluss erschoss der Palästinenser sich selbst. Wenn man das hört, kann man sich doch nur wundern, was diese beiden Menschen aus ganz verschiedenen Ecken der Welt gerade in dem Moment ins Empire State Building geführt hat. Der Palästinenser ist wohl kaum mit der Absicht nach New York gereist, auf der Aussichtsplattform eines Wolkenkratzers einen jungen Dänen zu erschießen, so wenig wie der Däne vorhatte, sich im Urlaub von einem Palästinenser erschießen zu lassen. Trotzdem ist es passiert. Warum?«
Olli schweigt einen Moment, doch da die anderen nichts sagen, fährt er fort: »Vielleicht war es das Schicksal des Dänen, in New York zu sterben. Aber dann könnte man auch sagen, dass es das Schicksal des Palästinensers war, den Dänen zu töten. Vielleicht hatte sein Leben überhaupt nur diesen einen Zweck.«
»Wie kommst du denn auf die Idee?«, verwirft Tossavainen Ollis Gedanken.
»Wäre der Däne etwa gestorben, wenn man den Palästinenser aus der Geschichte streichen würde?«
»Pah«, schnaubt Tossavainen. »Du glaubst doch wohl nicht an diesen Blödsinn, verdammt noch mal! Manche Dinge passieren einfach, das ist nun mal so. Der Däne war zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort. So ähnlich wie ich jetzt.«
»Es geht nicht darum, was ich glaube«, beharrt Olli. »Aber unser Täter denkt möglicherweise so. In seinem Leben passiert nichts blindlings und zufällig. Er hat die Mission, in eine Menschenmenge zu schießen, und es hängt vom Schicksal ab, wen die Kugel trifft. Die Schicksalskugel trifft immer den Richtigen, alles, was geschieht, ist vorbestimmt. Verstehst du? Aber die Frage bleibt, für wen die Kugel bestimmt ist. Das interessiert unseren Mann am allermeisten. Er will das richtige Opfer finden.«
»Krankhaft«, brummt Tossavainen verächtlich.
»Kann sein oder auch nicht«, räsonniert Olli. »Stell dir mal Folgendes vor: Jemand sagt dir, dass du eines Tages einen Mann namens Pekka Heikkinen töten wirst. Du glaubst das natürlich nicht. Du fragst, wer das überhaupt sein soll, du kennst keinen Pekka Heikkinen, bist dem Mann vermutlich nie begegnet. Aber eines Tages bei Schneematsch verlierst du in einer Kurve die Kontrolle über deinen Wagen und rast auf die Gegenspur, wo dir ein Auto entgegenkommt, das ein gewisser Pekka Heikkinen lenkt, dem du nie zuvor begegnet bist und der unterwegs zu seiner Freundin ist, die er vor einem Jahr auf dem Weg zu einer öffentlichen Toilette in Paris kennengelernt hat, nachdem er sich den Magen verdorben hatte, indem er Leitungswasser trank, weil er sich kein Mineralwasser mehr leisten konnte.«
Olli holt Luft und überlegt einen Moment, bevor er fortfährt: »Pekka ist sofort tot, dir passiert nichts. Was ist deine Funktion bei dieser Geschichte, welche Rolle spielst du im Leben des dir völlig unbekannten Pekka Heikkinen? Eine entscheidende, oder? Die zweitwichtigste nach seinen Eltern, könnte man sagen. Wäre Pekka auch gestorben, wenn du nie geboren worden wärst? Was wäre das bedeutendste Ereignis deines Lebens im Guten wie im Schlechten, wenn du zurückschaust?«
Fast atemlos sieht Olli Tossavainen an, der seiner Schicksalsphilosophie immer noch skeptisch gegenübersteht.
»So weit hergeholt ist das nicht«, fügt er noch hinzu. »Hast du beim Anblick eines Verkehrsunfalls noch nie überlegt, warum zwei Menschen, die sich nicht kennen, in verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten losfahren und dann irgendwo miteinander kollidieren, sodass einer von ihnen stirbt? Dabei geht es um Sekundenbruchteile. Mikrochirurgie mit einem Riesenskalpell ist das!«
»Nee, über so was denk ich nicht nach«, brummt Tossavainen grantig. Die Richtung, die das Gespräch genommen hat, gefällt ihm überhaupt nicht. »Es wird sowieso viel zu viel Trara um den Tod gemacht. Sterben ist ein
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