Erhört: New Tales of Partholon 4 (German Edition)
Moment lang trafen sich ihre Blicke. Dann wandte sie sich angeekelt ab und drehte ihm den Rücken zu. Der Platz neben ihr war leer.
In dem Moment hatte die Übelkeit bei ihm eingesetzt. Er hatte sich hastig von der enttäuschten Wynne verabschiedet und die Tanzfläche verlassen. Er musste Brenna finden – so viel wusste er. Er wusste allerdings nicht, was er ihr sagen sollte. Sie war weder in der Großen Halle noch im Burghof. Er störte ein Pärchen, das sich im Schatten der Mittelsäule umarmte und ihm recht schroff mitteilte, dass die Heilerin kurz zuvor aus der Burg geeilt war.
Er hatte versucht sie einzuholen, bevor sie ihr einsames Zelt erreichte, aber das war ihm nicht gelungen. Er erinnerte sich daran, wie er davorgestanden und ihren schmalen Schatten betrachtet hatte, der sich vor einer brennenden Kerze hin und her bewegte. Bei jeder anderen Frau hätte er das Zelt betreten, um Verzeihung gebeten und sich der Dummheit wegen Trunkenheit und Sehnsucht bezichtigt. Dann hätte er mit ihr Liebe gemacht.
Brenna war aber nicht jede andere Frau.
So hatte er sich auf unsicheren Beinen in sein eigenes Zelt zurückgezogen, um sich still und gründlich ins Vergessen zu trinken.
„Mit einer Sache hatte ich recht: Ich bin ein betrunkener Dummkopf.“
Sein letzter Gedanke, bevor Bewusstlosigkeit ihn gnädig umfing, war, dass er es am kommenden Tag wiedergutmachen musste und keine Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte.
Bevor Brenna sich schlafen legte, sprach sie immer mit Epona. Sie nannte es nicht Gebet; sie bat die Göttin um nichts, sondern sprach einfach nur zu ihr wie zu einer guten Freundin. Das tat sie schon so lange, dass sie in der Göttin inzwischen tatsächlich eine Freundin sah. Sie hatte diese Unterhaltungen mit Epona nach dem Unfall begonnen. Damals wusste sie, dass es nichts gab, was man gegen die Wunden unternehmen konnte – die zehnjährige Brenna hattesogar mit absoluter Sicherheit gewusst, dass sie im Sterben lag. Die Schmerzen waren über eine so lange Zeit so intensiv gewesen, dass sie nicht daran gedacht hatte, Epona zu bitten, sie zu erretten; sie wollte keine Rettung, sie wollte Erlösung. Statt also um Heilung zu bitten, hatte Brenna lange Stunden im Gespräch mit der Göttin verbracht, von der sie glaubte, dass sie sie bald schon im Reich der Geister sehen würde. Nachdem sie alle inklusive sich selbst überraschte, indem sie nicht starb, konnte sie ihre Unterhaltungen mit Epona nicht mehr aufgeben. Sie waren zu einer Gewohnheit geworden, die ihren Geist beruhigte und ihren Körper tröstete.
An diesem Abend brauchte sie sowohl Beruhigung als auch Trost.
Ihre Hand zitterte unter den Nachwirkungen der unterdrückten Wut, als sie ein kleines Bündel getrockneter Kräuter entzündete und tief den vertrauten Duft von Lavendel einatmete. Sie setzte sich vor ihren kleinen behelfsmäßigen Altar und berührte jeden Gegenstand. Dabei versuchte sie ihren Geist zu klären, um sich auf das Gespräch mit Epona vorzubereiten. An diesem Abend fand sie keinen Trost in den liebevoll ausgewählten Dingen – einem türkisgrünen Stein, der die Farbe von Meeresschaum hatte, dem kleinen Pferdekopf, von ihr eigenhändig aus weichem Holz geschnitzt, der einzelnen, perfekt tropfenförmigen Perle und der Feder, die im gleichen einzigartigen Blaugrün schimmerte wie ihr Stein …
Der gleichen Farbe wie seine Augen.
Angewidert schloss Brenna ihre Lider. Hör auf, an ihn zu denken, befahl sie sich, aber ihre Gedanken, die normalerweise geordnet und logisch waren, wollten ihr nicht gehorchen.
Der Ärger brandete erneut in ihr auf, und sie genoss die Hitze dieses Gefühls; es war einfacher zu ertragen als Verzweiflung und Einsamkeit.
Wie hatte sie nur so naiv sein können? Sie hatte gedacht, dass sie Frieden in sich gefunden hatte, dass sie schon vor Jahren ihr Leben akzeptiert hatte. Sie war eine Heilerin. Sie würde niemals am eigenen Leib die Freuden einer Ehefrau und Mutter erfahren, aber ihr Leben – das Leben, das vor einem Jahrzehnt hätte enden sollen – hatte eine Bedeutung. Sie hatte sich der Bekämpfung zweier alter Bekannter verschrieben: Schmerz und Leid.
Was also war in letzter Zeit mit ihr los? Wie war aus ihrem friedvollen Herzen dieser turbulente Ozean geworden?
Abwesend berührte Brenna ihre rechte Wange und spürte die dicke unebene Oberfläche der Narben. Wann hatte sie das letzte Mal an Liebe gedacht? Das war Jahre her, direkt nachdem ihr monatlicher Fluss eingesetzt hatte.
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