Erhört: New Tales of Partholon 4 (German Edition)
ließ die Hände über das Ende des Bandes gleiten und legte sie auf die Scheibe. Während sie die Stelle unter ihrer Handfläche betrachtete, kniff sie leicht die Augen zusammen. Wie die anderen Steine erwärmte auch dieser hier sich unter ihrer Berührung, aber abgesehen von seiner Temperatur fühlte er sich anders an als der Rest der dicken Burgmauer. Anstatt rau war die handtellergroße Stelle weich und glatt. Aus der Nähe sah Elphame, dass sie nicht plan an der Wand lag, sondern ein wenig erhaben war, wie ein riesiger, aus Stein gehauener Knopf. Tastend strich sie mit den Fingern daran entlang. Der Stein war nicht an der Wand angebracht, sondern er passte perfekt in die Wand hinein. Also kein Knopf, dachte sie, sondern ein Schlüssel.
Sie blinzelte überrascht. Ein Schlüssel?
Elphame drückte gegen die Scheibe. Mit einem Geräusch, als würde es ausatmen, schwang ein türgroßes Stück Wand beiseite. Ungläubig starrte Elphame in die Dunkelheit eines muffig riechenden Tunnels.
„Elphame!“ Brennas Stimme hallte aus dem oberen Zimmer zu ihr herunter. „Bist du da unten?“
Hektisch zog Elphame an dem unbeweglichen Felsstück in dem Versuch, die Tür wieder zu schließen.
„Ja, ich komme gleich rauf!“, rief sie über die Schulter.
Ihre Hand fand erneut die glatte Scheibe, und als sie dieses Maldagegendrückte, glitt die geheime Tür zu ihrer großen Erleichterung lautlos zurück an ihren Platz.
„Unglaublich …“, murmelte sie, während sie die Treppen hinaufeilte, um die Heilerin zu begrüßen. Später, versprach Elphame sich. Später, wenn sie allein war und sicher sein konnte, nicht gestört zu werden, würde sie ihre neue Entdeckung eingehend untersuchen.
„Guten Morgen!“, sagte Brenna, als Elphame aus dem Untergeschoss hochkam.
Elphame fiel auf, dass die fröhliche Stimme der Heilerin einen starken Kontrast zu den dunklen Ringen unter ihren Augen bildete.
„Guten Morgen“, erwiderte sie. „Du siehst müde aus. Hast du letzte Nacht nicht gut geschlafen?“
Die Heilerin beschäftigte sich angelegentlich mit dem Tablett, das sie gerade auf dem Tisch abgestellt hatte. „Mir geht es gut.“ Sie winkte ab. „Du solltest dir mehr Sorgen um deinen Schlaf machen, vor allem nach dem geschäftigen gestrigen Tag.“ Brenna bedeutete Elphame mit einer Kopfbewegung, sich zu setzen. Dann nahm sie ihr Handgelenk und überprüfte den Puls, während sie gleichzeitig eingehend ihre Augen untersuchte und mit der anderen Hand Schulter und Kopf befühlte. „Du siehst heute Morgen gut aus. Lass mich die Wunde an deiner Seite sehen.“
Gehorsam hob Elphame ihr Nachtgewand. Sie sah, dass ihre Freundin nickte, offensichtlich erfreut vom Fortschritt der Heilung, und eine duftende beruhigende Salbe auf die Narbe rieb. Brenna sah müde aus – und traurig. Elphame musste herausfinden, was mit ihr los war.
„Ich wäre gestern Abend gerne noch länger geblieben“, sagte sie und beobachtete Brenna genau. „Es war eine wundervolle Feier. Alle schienen sich zu amüsieren.“
Brenna gab einen zustimmenden Laut von sich. Elphame vermeinte, einen leicht angespannten Zug um den Mund ihrer Freundin zu entdecken.
„Ist noch irgendwas Besonderes passiert, nachdem ich mich zurückgezogen habe?“, fragte sie.
„Nein. Nur Musik und Tanz. Ich bin auch nicht mehr lange geblieben.“
Elphame hob die Augenbrauen. „Wirklich? Das überrascht mich. Als ich gegangen bin, wirktest du so, als hättest du viel Spaß.“
„Nein. Ja. Ich meine, ich hatte Spaß, aber es war spät, und ich war müde. Also bin ich ins Bett gegangen.“
Elphame fand, dass Brennas Lässigkeit gezwungen klang. Ihre Freundin wich ihrem Blick aus. Ihr Gesicht war unnatürlich blass, und in ihren Augen lag ein gehetzter Ausdruck. Für einen Moment ertappte sie sich dabei, dass sie sich wünschte, Brenna wäre aus Stein. Dann bräuchte sie sie nur zu berühren und könnte ihre Gedanken verstehen. Beinahe hätte Elphame bei der Vorstellung laut aufgelacht, aber dann fiel ihr ein, dass die kleine Heilerin tatsächlich viel mit den Steinen der Burg gemeinsam hatte. Sie dachte an das, was sie am vergangenen Abend vom Turm aus beobachtet hatte. Äußerlich wirkte Brenna gelassen, beinahe stoisch, aber in ihrem Inneren musste sie von zahlreichen unterschiedlichen Gefühlen erfüllt sein, wie die MacCallan-Burg.
Wie konnte sie Brenna veranlassen, sich ihr anzuvertrauen?
Vertrauen und Liebe – beides ging Hand in Hand. Um vertrauen zu können,
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