Erhört: New Tales of Partholon 4 (German Edition)
Während dieses Übergangs zum Frausein hatte sie darüber nachgedacht, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie nur einen Schritt weiter von der Feuerstelle entfernt gestanden hätte – oder wenn ihre Mutter gewusst hätte, dass der Eimer Öl statt Wasser enthielt, oder wenn ihre Mutter geschaut hätte, ob sie noch lebte, oder wenn ihr Vater in der Lage gewesen wäre, sein Leben fortzuführen …
Es war mehr als ein Jahrzehnt her, aber an diesem Abend fühlten sich die Erinnerungen frisch und neu an. Es war so lange her, dass sie sich erlaubt hatte, darüber nachzudenken, was wäre, wenn. Normalerweise dachte sie logischer, und es lag keine Logik darin, sich nach dem Unmöglichen zu sehnen oder die Vergangenheit ungeschehen machen zu wollen.
Warum dann jetzt? Warum waren die Sehnsüchte, die in einem anderen Leben begraben worden waren, jetzt in türkisgrünen Augen und einem jungenhaften Lächeln wiedergeboren worden?
Brenna streckte einen Arm aus, um den Stein zu berühren, doch ihre Hände zitterten immer noch, also verschränkte sie die Finger im Schoß. Sie wandte den Blick vom Altar ab. In dieser Nacht sah sie die Göttin dort nicht widergespiegelt; sie sah nur Schatten und Schattierungen von Cuchulainn.
Tief atmete sie den Lavendelduft ein und zwang sich, ihre Gedanken auf Epona zu konzentrieren. Zum Glück klärte sich ihr Geist, und ihre Schultern entspannten sich. Sie nahm noch einen tiefen Atemzug. Wie es ihre Gepflogenheit war, betete sie nicht, sondern sprach einfach zur Göttin, auch wenn in ihrer Stimme diesmal eine für sie untypische Schärfe lag.
„Es fühlte sich heute so richtig an, meinen Eid einem Clan zu schwören, der dir schon immer so nahesteht. Dieses Gefühl, dazuzugehören, ist …“ Sie hielt inne und drückte ihre Hände so fest aneinander, dass die Knöchel weiß hervortraten. „Es ist etwas, das ich seit so vielen Jahren nicht empfunden habe – ich hatte ganz vergessen, wie es sich anfühlt. Dafür möchte ich dir danken. Dafür, dass du mir dieses neue Heim geschenkt hast.“
Laut ausgesprochen, wurden ihre Worte die fehlenden Teile einesschwierigen Puzzles. Ihre Augen weiteten sich in plötzlichem Verstehen, und sie spürte, wie die Wut in ihrem Inneren langsam verrauchte.
„Vielleicht hat die Verlockung, dazuzugehören, meine fehlgeleiteten Gedanken verursacht.“ Sie lächelte grimmig. „Wie ein Kind habe ich zugelassen, dass schöne Fantasien meinen gesunden Menschenverstand überschwemmen. Schöne Fantasien, die sich um ein hübsches Gesicht drehen.“ Brenna seufzte. Sie konnte dem Thema nicht länger ausweichen, nicht wenn sie zur Göttin sprach, die sie so gut kannte. Bedächtig löste sie ihre verschränkten Hände und strich über die türkisgrüne Feder.
„Es war nicht nur sein Gesicht, Epona. Es war die Freundlichkeit, die ich in seinen Augen gesehen habe. Sie hat mich vergessen lassen, dass er nicht mehr als Mitleid für mich empfinden kann.“ Sie schüttelte den Kopf, und ihre Stimme wurde hart. „Sie denken, Mitleid ist Fürsorge, aber das stimmt nicht. Mitleid ist wie ein faules Bonbon – ein süßer Überzug für etwas, das besser verborgen bleibt. Früher oder später wäscht das Leben die verschiedenen Lagen hinfort und enthüllt selbst vergrabene Wahrheiten.“ Sie wappnete sich, bevor sie ihre geheimsten Gedanken aussprach. „Heute Abend ist die Wahrheit enthüllt worden. Er dachte, er würde Mitleid mit der vernarbten Heilerin zeigen und mit ihr tanzen. Wie immer denken gut aussehende Männer …“ Brenna stieß den Atem zwischen ihren angespannten Lippen aus. „Sie denken an sehr wenig außer an ihre eigenen Bedürfnisse. Das weiß ich doch. Ich hätte niemals glauben dürfen …“
Ihre Stimme brach. Wie hatte sie glauben können, dass er anfing, etwas für sie zu empfinden? Doch sie kannte die Antwort auf diese Frage bereits. Es lag an seinen Augen – diesen unglaublichen Augen, die die Farbe von Türkis und exotischen Vögeln hatten.
Er hat mich angesehen mit …
„Nein!“ Das Wort platzte aus ihrem Mund. „Ich bin fertig mit eitlen Sehnsüchten, die nur alte Wunden aufreißen.“
Brenna hieß die Wut willkommen, die plötzlich wieder durch ihre Trauer brach. Sie hatte ein Gefühl von Endgültigkeit, erhob sich auf die Knie und beugte sich über den brennenden Lavendel. Sicher bewegte sie die Hände durch den süßen Rauch und badete ihren Körper im Geruch des Gewürzes. Dieses Ritual wiederholtesie noch dreimal. Dann nahm
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