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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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sich nach ihm umzudrehen. »Das Ufer zeigt uns jetzt den Weg.«
    »Hier unter uns ist das Wasser viel grüner als die Steine dahinten.«
    »Still! Auch dem Sohn des obersten Führers ist es verboten, laut zu murren.« Tyrkir unterdrückte ein Schmunzeln und zog ihn näher an seine Seite. »Aber ich verspreche dir, bald ist es so weit. Und dann wirst du staunen.«
    »Ach, Onkel, dem Thorvald und der Freydis, denen kannst du so was erzählen.« Nachsichtig tätschelte er die Hand des Ziehvaters. »Aber ich bin dir nicht böse, wenn du’s auch nicht weißt.«
    »Sehr freundlich, mein Junge.«
    Das Steilufer wich in eine weite Bucht zurück, immer häufiger segelten sie an Fjordmündungen vorbei, doch keine Veränderung tat sich auf, es blieb bei den mit Flechten bewachsenen Riffen und Schären vor toten Felswänden. Seit langem hockten die Auswanderer schweigend und blickleer im Frachtraum beieinander, selbst ihre Hunde hoben nicht mehr die Schnauzen.
    Thjodhild ertrug die stummen Anklagen der Mütter um sie herum nicht länger. Welches Unheil uns auch bevorsteht, dachte sie, ich muss Klarheit haben, und zwar jetzt sofort. Von Erik würde sie nur neue Ausreden hören, deshalb stieg sie zu Tyrkir hinauf.
    »Gerade wünschte ich, dass du hier neben mir wärst«, empfing er sie. »Denn jetzt drehen wir bei.«
    Thjodhild wartete, bis der Drachenkopf direkt auf die Mündung eines breiteren Fjords zuhielt und Tyrkir den nachfolgenden Knorr verständigt hatte, dann bat sie Leif: »Geh zu deinen Geschwistern und gib auf sie Acht!«
    »Das darf ich nicht.« Ihr Ältester riss sich die Wollmütze vom Kopf. »Der Onkel braucht mich.«
    Für einen Streit war sie zu müde. »Meinetwegen, aber hock dich hin und halt dir die Ohren zu. Ich will allein mit deinem Ziehvater reden.«
    Als er mit dem Rücken zu ihnen auf den Planken saß und die Beine in den Frachtraum baumeln ließ, begann sie leise: »Welcher Dämon ist euch auf der ersten Fahrt begegnet und hat Besitz von euch genommen? Allein von Loki Besessene können es wagen, so viele Menschen ins Elend zu führen.«
    Blutrot färbte sich die Narbe. »Hab Vertrauen, bitte! Nur noch eine kleine Weile.«
    »Tyrkir!«
    Er zeigte zu den flachen Ufern rechts und links der Einfahrt. »Da, sieh genau hin. Dort liegen angeschwemmte Baumstämme, bestes, hartes Treibholz, um Häuser zu bauen, allein da drüben gibt es mehr, als wir am gesamten Küstenstreifen vor dem Habichtstal in einem Sommer gefunden haben. Und glaub mir, jeder Fjord …«
    »Nicht weiter!«, warnte sie und starrte bestürzt in seine Augen. »Nie habe ich mir vorstellen können, dass du mit solch ehrlichem Blick so lügen kannst.« Erst nach einer Pause setzte sie hinzu: »Und gerade du, mein bester Freund.«
    »Sag bitte nichts mehr!« Seine Lippen zitterten. »Worte verletzen oft mehr als jedes Messer und diese Wunden heilen schlecht.« Rasch wandte er sich ab, stemmte die Hand auf den Hals des Drachen und blickte nach vorn.
    Thjodhild setzte sich eng zu ihrem Sohn. Auch wenn es mich selbst schmerzt, ja, ich wollte dich treffen, dachte sie, weil ich hoffte, dich wachrütteln zu können. Und bin jetzt ratloser als vorher.
    Noch mit dem Wind des offenen Meers im Rücken jagte der Knorr zwischen hochragenden Felswänden tiefer und tiefer ins Innere des Fjords. Kurz vor einer scharfen Biegung nach rechts gab Tyrkir nach achtern das Zeichen, nun die Fahrt zu verlangsamen, indes Erik winkte zornig ab, mehr noch, die Knechte an den Leinen erhielten Befehl, das volle Tuch zu hissen.
    Schnell flog sein Schiff dem Verband davon, neigte sich tief über Backbord und mit schäumender Gischt vor dem Drachenmaul richtete es sich nach der Kehre wieder auf.
    Jäh flaute der Wind ab. Thjodhild hatte Leif fest an sich gepresst, jetzt, da das so leichtsinnige Spiel vorüber schien, drohte sie ihrem Mann an der Steuerpinne, schon war sie auf den Knien und wandte sich wütend zu Tyrkir um.
    Ihre hochgerissene Faust erstarrte, zugleich fühlte sie einen Stich, der Schmerz in ihrer Brust wollte nicht aufhören. Tyrkir stand nicht mehr inmitten dunkler Felswände, jetzt umgab ihn Helligkeit, und vor dem Bugsteven öffnete sich eine Hügellandschaft, ein weites Bild mit grünen Weiden.
    Woher die Kraft nehmen zu begreifen? Thjodhild ließ den Arm sinken. Sind dort am linken Ufer nicht Wälder? Birken, ja, es müssen Birken sein, ging es ihr durch den Kopf, nur waren sie höher als im Habichtstal. Ihr wurde heiß, langsam öffnete sie den

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