Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
fettglänzenden Regenumhang. Es ist nicht mein Blut, stellte sie fest, die Sonne wärmt mich.
»Mutter?« Leif rüttelte vorsichtig an ihrem Arm. »Warum stehst du nicht auf?«
»Weil ich …« Sie war wach, küsste den Jungen auf Stirn, Nase, Mund und Wangen. »Weil ich so besser an dich herankomme.« Empört riss er sich los. »Ich bin kein Kind mehr.«
»Schon gut, schon gut.« Sie suchte den Blick des Freundes. »Und weil ich so dumm war.« Bereitwillig ergriff sie seine Hand und ließ sich aufhelfen. »Glauben, ohne zu sehen, weißt du, wie schwer das ist? Ich vermochte die Ungewissheit einfach nicht mehr zu ertragen, verzeih!«
Ehe Tyrkir antworten konnte, drängte Leif sich zwischen die beiden und stemmte die Fäuste in die Seiten. »Onkel. Ich denke, wir können zufrieden sein. Unser Kurs war richtig.«
»Dem großen Tyr sei Dank und natürlich auch dir, ohne dich hätten wir uns bestimmt auf dem Meer verirrt.«
Inzwischen begannen auch die Siedler zu verstehen, einige rieben sich die Augen, andere tasteten nach dem Nachbarn und endlich: Aus dem stummen Staunen erblühte allmählich der Jubel, wurde übertönt von tiefen, lang getragenen Hornrufen. Wie ein Echo antworteten sie vom nächsten Knorr und wurden schnell vervielfacht von den nachfolgenden Schiffen. »Unser grünes Land! Unser Grönland!!« Mit Lachen und Weinen begrüßten die Auswanderer ihre neue Heimat, winkten im Vorbeigleiten zu den saftigen Wiesen, als hätten sich dort unsichtbare Verwandte zu ihrer Ankunft eingefunden.
Thjodhild stieg aufs Steuerdeck. »Ein freier Arm genügt mir nicht. Ruf den Bootsknecht, er soll dich ablösen.«
Wenig später verbarg sie sich an seiner Brust und Erik hielt sie fest. »Wenn’s auch schwer war«, murmelte er, »jetzt hat es sich gelohnt.«
»Lass mich nicht los!«, flüsterte sie. »Bis ich aufgehört habe zu weinen.«
Der Wind flaute mehr und mehr ab. Zur Unterstützung wurden die Ruder durch die Pforten der Bordwand geschoben und wie von langen Raupenbeinen getrieben drangen die Drachenboote tiefer ins Herz der sommerlichen Landschaft. Inselgruppen tauchten auf, Nebenarme zweigten ab und Erik schenkte sie nacheinander den reichen Schiffsführern. »Ketil, dieser Fjord soll von heute an deinen Namen tragen. Gründe deinen Hof und lebe in Frieden mit deinen Nachbarn!« Er würde die Grenzen seiner Ländereien an den Steinmarkierungen erkennen, die der Rote mit Tyrkir auf ihrer ersten Fahrt bereits errichtet hatte.
Auch für jeden freien Bauern war von ihnen vorgesorgt worden. Kein großer Abschied; nach einer gemeinsamen Bitte an die Götter, den Neubeginn mit Wohlwollen zu begleiten und dem festen Versprechen, im nächsten Juni zur ersten Thingversammlung der Grönländer auf den Erikshof zu kommen, blieben die Siedler zurück.
Am nächsten Mittag folgte dem Reittier lediglich noch der Knorr des Ingolf Arnesson. Auch die letzten Kleinbauern waren mit Hausstand und Vieh unterwegs abgesetzt worden; vor Glück strahlende Menschen winkten am Ufer hinter den beiden Schiffen her. Und blaugrün wurde das Wasser, sanfter die Hügel, und weit im Osten glitzerte und gleißte der mächtige Rücken des unendlichen Eisriesen.
Erik hatte sich die Familie des schwarzbärtigen Ingolf zum direkten Nachbarn erwählt. Mit diesem offenen, herzlichen Mann hoffte er in Frieden und Freundschaft auszukommen. Seine Frau Solveig hatte einen Sohn und zwei zopfige Mädchen im Alter von Thjodhilds Kindern. Sicher würden sich auch die Frauen bald näher kommen.
»An alles habe ich gedacht. Und mein Reich geordnet«, befand Erik voller Stolz. Es hielt ihn nicht länger an der Pinne und er führte Thjodhild nach vorn zu Tyrkir. Gemeinsam standen sie eng beieinander, während der Knorr in die sonnenüberflutete weite Bucht am Ende des Fjords einlief. Mit einer großen Geste wies der Hüne zur linken Anhöhe hinauf. »Da oben! Fertig ist es nicht, aber bald.«
Sie sah ein lang gestrecktes Dach, bewachsen mit tiefgrünem Gras, und weil sie nicht sprechen konnte, lächelte sie nur.
Das Schiff ging am Ufer längsseits, der Anker fiel und Thjodhild ließ sich mit den beiden Kleinen auf dem Beiboot durchs seichte Wasser zum Ufer bringen. »Ich will allein unser Heim begrüßen«, bat sie, nahm Freydis auf den Arm und Thorvald stapfte an ihrer Hand über den ausgedehnten Kieselstrand.
Langsam war der Anstieg. Ich habe Zeit, von nun an läuft mir keine Zeit mehr davon. Das Wohnhaus wollte sie später mit ihren Männern
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