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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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bald schrie die Mannschaft wie aus einer Kehle: »Grönland! Zu Hause!«
    Sofort ließ sich Leif durch Egil an der Pinne ablösen und sprang vom Achterdeck, tauchte unter dem Rahbaum her, lief über die Holzfracht und schwang sich mit einem Satz auf die Planken vor dem Drachenkopf. »Onkel! Wir haben es geschafft.« Er packte Tyrkir um die Hüften, wirbelte ihn herum und setzte ihn wieder auf die Füße. »Nur wer auch zurückkommt, kann sagen, dass er ein neues Land entdeckt hat.«
    »Sehr schlau, Junge«, lachte Tyrkir und ließ sich vom Übermut mitreißen. »Aber mehr noch, du hast den Rand der Welt ein Stück weiter nach Westen ausgedehnt.«
    »Ja, und dort gibt es keine Riesen, sondern riesige Bäume. Onkel, allein die Stämme, die wir mitbringen, reichen aus, um drei Schiffe zu bauen. Ach was, selbst mit dem Rest können wir noch einträgliche Geschäfte machen.« Er hielt inne. »Ja, das wäre doch gescheit, wenn wir …«
    »Wehe du sprichst weiter!«, drohte ihm Tyrkir. »Mir reicht es. Erst nach Norwegen. Vier Jahre! Dann gleich nach Vinland. Wieder fast ein Jahr! Schlag dir den Gedanken gleich aus dem Kopf. Mit mir nicht. Ich will endlich wieder in meinem Bett schlafen.«
    »Und deine Sträucher pflanzen, ich weiß.« Leif spielte den Betrunkenen. »In jeder Beere ist ein Schluck Wein«, und feixte. »Ich sehe dich noch genau vor mir, wie du singend aus dem Gebüsch auf die Lichtung hinausgetorkelt kamst. Ach, Onkel. Und ich hatte Recht: Es gab kaum Frost. Wir konnten den ganzen Winter hindurch bis zum Frühjahr Holz schlagen.« Er ging hoch zum Drachenkopf, blickte zur Felsküste hinüber, nach einer Weile seufzte er. »Ja, wir hatten eine gute Zeit in meinem Land. Und jetzt? Was erwartet uns zu Hause?«
    Tyrkir schwieg und fuhr nachdenklich mit der Fingerkuppe vom Mundwinkel auf der Narbenstraße bis zum Ohrwulst und zurück. Seit dem Anfall im letzten September hatte die unsichtbare Macht nie wieder nach dem Ziehsohn gegriffen. Von Ingva, der Schwester Egils, war hin und wieder des Abends am Feuer die Rede gewesen und Leif hatte freimütig eingestanden, dass die junge Frau ihm gefiel. Ja, sie hatten sogar beide versehentlich den Namen Thorgunna ausgesprochen. Ohne Folgen. Hatte die Zauberin von ihm abgelassen? Ich hoffe es so sehr, dachte Tyrkir, doch ein letzter Beweis fehlt. Ob ihr Fluch wirklich gebrochen ist, werden wir vielleicht schon bald erfahren. Bis dahin …
    »He, Onkel!?« Leif schirmte die Augen. »Täusche ich mich?« Er wies über Backbord. »Da auf der Schäre. Liegt da nicht ein Knorr?«
    Sofort war der Lotse neben ihm. »Ich sehe nur das Riff«, murmelte er. Angestrengt starrten beide über die Wellenkämme. Erst als der Falke aus einem Tal nach oben getragen wurde, erkannten sie nicht allein ein Schiff, dort auf der Schäre winkten Menschen zu ihnen hinüber.
    »Die Leute sind in Not!« Ohne Zögern rannte Leif zum Steuerdeck, übernahm wieder die Pinne und gab Befehl, gegen den Wind zu kreuzen. Nahe dem Felsen ließ er Anker werfen.
    Der fremde Knorr klemmte mit gebrochenem Mast und aufgerissener Seite zwischen hohen, kantigen Felsbrocken. Fünfzehn Schiffbrüchige streckten flehend die Hände aus, lachten und weinten ihren Rettern zu.
    »Wer ist euer Führer?«, brüllte Tyrkir durch den Trichter der Hände.
    Aus der Schar löste sich ein stämmiger Mann. »Ich, Thorir, der Gesandte vom norwegischen Königshof! Wer befehligt dein Schiff?«
    »Leif, der Sohn Erik Thorvaldssons! Haltet euch bereit! Wir holen euch an Bord.«
    Das Beiboot wurde zu Wasser gelassen. Die Brandung vor dem gefährlichen Riff forderte Kampf und Wagemut, jedoch bald schon zogen starke Arme auch den Letzten der Erschöpften über die Reling des Falken.
    »Gott ist groß«, seufzte der Gesandte und reichte dem jungen Schiffsführer die Hand. »Mein Auftrag lautet, dem Goden von Grönland einen Besuch abzustatten. Und nun rettet mich sein Sohn aus der See.« Er fiel auf die Knie. »Gott ist groß«, damit sank er zur Seite und streckte sich aus.
    Ein furchtsamer Blick zum Onkel, dann fragte Leif: »Was will der König von meinen Vater?«
    Ermattet winkte Thorir ab. »Ich muss herausfinden, wie es auf Grönland mit dem Christentum bestellt ist. Aber das ist jetzt nicht wichtig.«
    »Du hast Glück«, nickte der Eriksohn und setzte hinzu: »Ich meine, dass du zuerst auf mich getroffen bist.«
    Der Gesandte verstand den Sinn nicht, er schlief schon beinahe. »Ja, Glück. Du bist mein Retter«, murmelte er. »Du

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