Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
und Mägden, die Pferde eins nach dem anderen von den Fesseln zu befreien und die Fracht an Land zu schaffen. Mit Tyrkir begleitete er seine Frau den steilen Pfad hinauf. Zweimal rutschte sie im Geröll aus, raffte sich jedoch, ohne zu klagen, wieder auf. Ihr Blick blieb fest nach oben gerichtet. Endlich war die Höhe erreicht.
Thjodhild stand da und starrte auf den rauchenden Gras- und Erdhügel und den etwas kleineren daneben, aus dem kein Qualm aufstieg. Schließlich fragte sie: »Ist das dein Gutshof?«
Erik suchte Hilfe bei Tyrkir, doch der schüttelte den Kopf. Als wäre die Frage ein schier unlösbares Rätsel, so nagte der Hüne an seiner Unterlippe, schob sie vor und zurück, endlich hatte er sich zu einer umfassenden Erklärung durchgerungen: »Also, von hier kannst du nicht alles sehen. Zwischen Stall und Wohnhaus gibt es noch eine Scheune.« Damit meinte er den aus Steinen geschichteten und nur dürftig gedeckten Schuppen.
»Du hast Recht, ich sehe gar nichts.« Nur gut, dass es regnet, dachte sie unglücklich und wischte die Augen. »Lüge? Dann war alles gelogen?«
»So ist es ja nun auch nicht«, murmelte er. »Nicht alles.«
Heftig riss sie ihn am Arm. »Sieh mich an, Erik Thorvaldsson! Du hast nicht nur mich getäuscht, auch den Vater, meine Mutter und alle Verwandten hast du getäuscht. Warum bei allen Göttern? Sag es mir!«
»Weil … Also, weil du sonst mein Fell nicht genommen hättest.«
Sie presste beide Fäuste gegen ihre Schläfen. »Wie dumm du bist. So dumm.«
Ehe sich Erik empören konnte, schlug Tyrkir vor, zunächst einmal ins Haus zu gehen. Am Feuer ließe sich die Sache in Frieden besprechen, nein besser erst morgen, wenn die Herrin ausgeruht von der Reise sei.
HABICHTSTAL
E rik wagte erst wieder an sein Glück zu glauben, als er Thjodhild nach quälend eisigem Schweigen am Abend des dritten Tages mit den Mägden in der Vorratskammer lachen hörte. »Ich hab’s gewusst«, seufzte er und zwinkerte dem Freund zu. »Sie gewöhnt sich dran.« Mehr um sich selbst zu überzeugen, klatschte er beide Hände auf seine Schenkel. »Tja, so ist das nun mal: Ein Weib gehört zu ihrem Mann, ganz gleich wo sie leben.«
Tyrkir schnitzte an der Schnurkerbe eines neuen Peitschenstocks. »Laut solltest du dich besser nicht damit brüsten. Ich denke, die Herrin lacht nur, weil sie es ohnehin nicht ändern kann.«
Die Wunde riss wieder auf. »Du hast Schuld«, knurrte Erik. »Warum hast du mich nicht gewarnt?«
»Konnte ja nicht ahnen, Herr, wie großzügig du unsern Hof einschätzen würdest.« Nein, keinen Spott, ermahnte sich Tyrkir. Schlimm genug, in welche Einöde wir die arme Frau gelockt haben. »Wer Schuld trägt, darüber lass uns nicht mehr streiten. Wie gut sie es bei uns haben kann, darum sollten wir uns jetzt kümmern!«
»Ja, Schluss damit. Es muss weitergehen, nur das zählt.«
Nach vorn schauen, dies entsprach den Freunden mehr, als über begangene Fehler zu rechten. Gleich nach der Ankunft auf Spitzklipp war Tyrkir zum Verwalter des Hofes bestimmt worden. Zwar hatte er diese Aufgabe längst ausgefüllt, doch Erik wollte ihn durch die ausdrückliche Bestätigung vor dem neuen Gesinde hervorheben.
Thjodhild darf es an nichts fehlen! Für beide galt der Satz wie ein Befehl. Und sie gaben sich Mühe: Bis Ende September waren die Heuernte eingebracht, das Salzbutterfass gefüllt und neben getrockneten Kräutern und Wurzeln, Töpfen mit honiggesüßten Beeren lag genügend Fisch- und Robbenfleisch eingepökelt in der Vorratskammer. Während der letzten beiden Oktoberwochen baute Erik mit den Knechten ein kleines, gut zu wärmendes Haus gleich neben dem Hauptgebäude. »Für dich!«, rief der Rote stolz. »Ich hab’s deinen Eltern versprochen. Und du siehst, ich halte mein Wort.«
Keinen übermäßigen Dank erntete er. Nach den ersten Tagen ihrer Verzweiflung war Thjodhild gleichbleibend freundlich geworden, rückte auch nachts nicht von ihm weg, sprach aber nur das Nötigste.
Schnell hatte sie herausgefunden, welcher Magd ihr Mann vor der Heirat besonders zugetan gewesen war. Unter vier Augen ließ sie Katla entscheiden. »Entweder du hältst in Zukunft deine Knie für ihn geschlossen und wirst meine Freundin, oder du schläfst ab jetzt beim Vieh und ich beweise dir, wie hart ich als Herrin sein kann.«
Die junge Frau legte beschwörend beide Hände auf die linke Brust. »Nie mehr. Und wenn der Herr doch noch mal will, schicke ich ihn zu dir. Lass mich deine Freundin
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