Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück
Schale, betrachtete das Bild und verbesserte es, dann schnitt er behutsam eine Frau, die ein Kind stillte, in den hellen Stein.
Dabei drängten sich ihm seit langem wieder Erinnerungen an sein Heimatdorf am Rhein auf. Dieses Bild? Es war ihm nicht fremd. Eine Mutter hielt ihren Sohn auf den Knien. Wie war noch ihr Name? Er fiel ihm nicht ein.
Als Tyrkir endlich mit seinem Kunstwerk zufrieden war, rief er nach Erik. »Hier! Ganz fertig ist das Geschenk noch nicht. Ich denke, du solltest dich wenigstens etwas daran beteiligen.«
»Nicht so laut«, brummte Erik und knotete sechs dicke Wollfäden an den Enden zusammen, legte das Bündel in die Mitte der Schale und zog die losen Enden ein Stück über die sechs Randkerben hinaus. Er gab Tran ins Specksteingefäß und wartete, bis sich die Wolle voll gesogen hatte, ehe er die Dochte entzündete.
Feierlich langsam schritt er zu Thjodhild hinüber. Sie stand vor dem Webstuhl und bemerkte ihn erst spät. Kaum sah sie die strahlende Lampe in seiner Hand, weiteten sich ihre Augen.
»Fürs Kind«, sagte er. »Ich mein für dich, weil ihr es dann beide nicht so dunkel habt.«
Sie nahm die Schale, ihre Fingerkuppe strich über Mutter und Kind und sie konnte die Tränen nicht zurückhalten. Nach einer Weile flüsterte sie. »Es muss gut werden mit uns. Hörst du!«
»Ich will ja, aber …«
Thjodhild nickte.
Seitdem sprach sie häufiger mit ihrem Mann, setzte sich auch aus freien Stücken zu ihm und Tyrkir, ja, sie beteiligte sich sogar an Versen, die der Deutsche zur Unterhaltung aller schmiedete. So vergingen die Abende heiterer als bisher. Sobald aber von Plänen die Rede war, verlor ihr Gesicht wieder jeden weichen Zug.
Anfang Februar, die Tage waren schon deutlicher von der Nacht zu unterscheiden, kehrte einer der Knechte aus dem Stall zurück und bat Tyrkir mit einer verschwiegenen Geste, ihm zu folgen.
Nur während der kurzen Melk- und Fütterungszeit flackerte ein Tranlicht im Stall, sonst umgab Dunkelheit das Vieh, Dunkelheit für Monate. Jeder Pferch war durch eine halbhohe, dünne Steinmauer vom nächsten getrennt, die Tiere konnten sich stellen oder legen, dies war die einzige Bewegung, die ihnen die Enge erlaubte.
Der Knecht ging voran und zeigte auf eine abgemagerte Kuh. Sie war in die Vorderbeine gebrochen und zeigte keine Anstrengung mehr, sich aufzurichten.
»Frisst sie noch?«
»Was denn? Unser Heu geht zu Ende und den Rest sollten wir für die noch kräftigen Tiere nehmen.«
Tyrkir begriff die Bedrohung. »Wie viele Kühe können wir durchbringen?«
Wortlos hob der Knecht zwei Finger.
»Ich werde mit dem Herrn reden. Warte hier!«
Nach Für und Wider blieb nur eine Möglichkeit. »Wir müssen notschlachten«, entschied Erik schweren Herzens. Wenige Stunden gab er sich der Hoffnung hin, die Niederlage vor seiner Frau verbergen zu können, doch das Unglück stand nicht nur ihm, sondern Tyrkir und allen Knechten ins Gesicht geschrieben.
Thjodhild verteilte den Eintopf, wartete, bis auch der Letzte seinen Löffel abgeleckt und in den Gürtel zurückgesteckt hatte. »Was gibt es?« Fragend sah sie auf ihren Mann, da er nicht antwortete, wandte sie sich an den Verwalter: »Sag du es!«
»Nein, lass nur!« Erik legte beide Hände offen auf die Tischplatte. Als er geendet hatte, hielt sie ihn mit dem Blick fest. »Ich stehe zu dir wie jeder hier in deinem Haus.«
Ihr Vertrauen gab ihm Mut. Wenn das Glück im Moment auch abwesend sei, es musste zurückkommen. »Das Schicksal hat vorgesorgt, ich weiß es.« Sobald der Schnee geschmolzen war, wollte er neue Kühe kaufen, mehr Wiesen in der Gegend ausfindig machen und noch härter arbeiten würden sie, denn schließlich hätten sie in diesem Jahr mehr Arme zur Verfügung als im vergangenen. Ja, und den nächsten Winter würde jedes Stück Vieh überleben. »Wir kaufen auch Schafe. Und einen Eber mästen wir uns fürs Julfest.« Seine Begeisterung ging auf Mägde und Knechte über, selbst Tyrkir ballte hoffnungsvoll die Hände.
Thjodhild lehnte sich still zurück und strich über ihren gerundeten Bauch. Mein Kind, dachte sie, du da drinnen. Hab keine Furcht, deine Mutter wird für dich sorgen!
Mitte April blühten erste gelbe Blumen versteckt am Steilhang, der zum Ufer hinunterführte. Bis auf Flächen, die nicht von der Sonne erreicht wurden, begann der Schnee zu schmelzen und da und dort roch es nach warmer Erde.
Während die Frauen im Haus badeten, reinigten sich die Männer draußen, kürzten ihre
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