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Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück

Titel: Erik der Rote oder die Suche nach dem Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Röhrig
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sein!«
    »Du bist ein kluges Kind«, nickte Thjodhild, und kurz vor den drei heiligen Nächten zog sie mit allen Mägden ins neu errichtete Haus. Dies bedeutete keine Trennung, das Bett teilte sie weiterhin mit Erik, nur gab es jetzt auf dem Hof für die Frauen einen Hort, der ungestört von Männerblicken ihnen allein gehörte. Der Winter konnte kommen.
    Erste Eisstürme heulten vom Meer über Spitzklipp hin. Bald fiel Schnee und der Wind türmte ihn über die Erd- und Grasdächer. Täglich gruben sich die Knechte aufs Neue den Weg zum Stall hinüber, um das Vieh zu füttern.
    In der tiefsten Nacht des Jahres feierten die von Dunkelheit und Kälte Eingeschlossenen das Julfest. Bier hatte nicht gebraut werden können, weil es an Gerste fehlte, ein Eber konnte nicht geschlachtet werden, da Erik aus Platzgründen keine Schweine hielt. Thjodhild aber hatte es verstanden, die Suppe scharf zu würzen und hiernach den Duft des Robbenfleisches so lange durch die Wohnhalle ziehen zu lassen, bis der Hunger allen das Wasser im Mund zusammenzog und ihnen dieser Braten als der köstlichste Julschmaus vorgekommen war.
    Tage danach stand Thjodhild am Webstuhl, bei jedem Vor und Zurück klirrten und klingelten unten an den Kettfäden die Gewichte aus gelöcherten Tonscherben und gleichmäßig führte sie das Webschwert. Häufiger als sonst beobachtete sie Erik aus den Augenwinkeln.
    Auch wenn du mich belogen hast, dachte sie, fleißig und tüchtig bist du wirklich. Keiner von den jungen Kerlen bei uns daheim kann so zupacken. Er saß breitbeinig auf dem Schemel neben ihr, rupfte Wolle vom Rocken und ließ die Spindel in der Hand wirbeln. Wie es sich für das Sippenoberhaupt geziemte, verstand es Erik, die Streitaxt zu schwingen, ein Schiff zu führen, und selbstverständlich wusste er auch, einen guten Wollfaden zu spinnen. Ein Mann wird erst zum Mann, wenn er jede Arbeit beherrscht! Nach diesem Wahlspruch hatte der alte Thorvald selbst gelebt und seinen Sohn mit aller Strenge in diesem Sinne erzogen.
    Thjodhild unterbrach ihre Tätigkeit. Sie trat dicht hinter Erik und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich bin nicht mehr allein.«
    Er wandte sich überrascht um. »Hast du mir verziehen?«
    »Nein, niemals.« Kein Groll schwang in ihrer Stimme mit, sie hatte es nur klargestellt und fuhr fort: »Lass uns nicht darüber sprechen, nicht jetzt. Ich wollte dir sagen, dass wir nicht mehr allein sind.«
    Er begriff nicht, dafür aber Katla in ihrer Nähe, längst gab sie die Neuigkeit tuschelnd weiter, als er endlich die Spindel fallen ließ. »Bei Thor, das ist gut. Und nach diesem Kind muss das nächste kommen! Ja, hier auf Spitzklipp wird unsere Familie wurzeln.« Er stand auf und drückte sie vorsichtig an sich.
    Das war ihm nicht genug, in großen Schritten ging er am Langfeuer auf und ab, verschränkte die Arme, öffnete sie wieder, um sie gleich erneut zu verschränken, dabei bewegte er tonlos die Lippen. Schließlich zog er Tyrkir ins Halbdunkel des gegenüberliegenden Seitenraums. »Was sagst du dazu? Ein Kind. Obwohl sie noch wütend auf mich ist, bekommt sie ein Kind.« Er kratzte sich im Bart. »Das nenn ich eine gute Frau.«
    »Sie ist die Beste. Ich wusste es gleich.« Wie zwei Jungen grinsten sie sich an, Erik sollte Vater werden, so ganz geheuer war ihnen der Gedanke noch nicht.
    »Muss ich ihr nicht etwas schenken?«, überlegte der Rote. Wenn er doch jetzt auf einen Markt könnte, dort würde er ihr eine Kette oder einen Armreif kaufen. So aber fiel ihm nichts ein, und bis die Nächte wieder kürzer wurden, waren sie hier eingeschlossen.
    Tyrkir nickte. Es müsse ja nichts Wertvolles sein, meinte er, nur ein Zeichen der Freude. Allerdings sei es schwer, in dieser Enge eine Überraschung vorzubereiten.
    »Du schaffst das«, entschied Erik.
    Während der nächsten Abende saß der Deutsche bei den Knechten im vorderen Teil der Halle. Hier wurden die Gerätschaften für Haus und Hof instand gesetzt oder erneuert. Tyrkir höhlte mit Stichel und Messer einen Speckstein aus, es war der letzte weiche Stein, den er von Norwegen mitgebracht hatte, und schnell entstand unter seinen geschickten Händen eine Schale, deren Rand er mit sechs Kerben versah.
    Bis dahin hatte er sich lebhaft an den nicht enden wollenden Geschichten über Zwerge, Nornen und Getier beteiligt, die im Wurzelwerk der Weltesche hausten. Nun aber durfte ihn niemand mehr ansprechen. Zunächst zeichnete er mit Kohle den Entwurf auf die Außenseite der

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