Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Entsetzen und Unglauben auf die Tote.
»Ich weiß, wer sie getötet hat«, sagte Ana. »Ich werde Ihnen den Namen nennen. Aber der Mörder ist bestimmt schon auf der Flucht ins Inland, und er kennt alle Wege. Vielleicht hat er ein Pferd, auf dem er reitet. Ich kann nichts anderes tun, als Ihnen den Namen zu geben. Dann müssen Sie bestimmen, ob Sie Ihre Soldaten ausschicken wollen, um nach ihm zu suchen.«
Sie berichtete von O’Neill, dem Überfall in ihrem Haus und dem Geständnis des Mordes an Isabel. Sullivan hörte mit wachsendem Zorn zu. Ob er daher rührte, dass er gedemütigt worden war, dass er das Geld in dem Wäschekorb verlieren würde oder dass er nicht mehr erwarten konnte, mit ihr zu schlafen, war nicht auszumachen. Sie wusste nur, dass sie im Moment die Stärkere war.
»Isabels Bruder wird den Leichnam abholen«, sagte sie. »Aber das Geld nehme ich mit. Wir werden uns nie wieder sehen. Und ich verlange, dass zwei Soldaten sie weiterhin bewachen, auch wenn sie jetzt tot ist.«
Sie kehrten auf den Hof zurück. Zwei Soldaten trugen den Wäschekorb zum Auto und schoben ihn in den Kofferraum.
»Wir werden ihn fassen«, sagte Sullivan, der ihr durch das Tor gefolgt war.
»Nein«, sagte Ana. »Er ist ein weißer Mann, den ihr entkommen lassen werdet. Ihre Worte bedeuten nichts. Ich hatte vor, Ihrem Begehren zu entsprechen. Jetzt empfinde ich große Erleichterung darüber, dass ich Ihnen nie nahekommen muss.«
Ehe der Kommandant antworten konnte, hatte Ana sich umgedreht und in das wartende Auto gesetzt. Als sie davonfuhr, sah sie, wie die große Reiterstatue von schwarzen Männern mit Seilen auf die Straße geschleppt wurde. Sie empfand Reue darüber, dass sie nicht sofort darauf eingegangen war, Sullivan seinen Willen zu lassen. Vielleicht hätte sie Isabel dann retten können? Während dieser Nacht, die Isabels letzte geworden war, hätte sie schon mit Moses zur Freiheit in den fernen Minenschächten unterwegs sein können.
An die folgenden Stunden erinnerte sie sich nicht. Nur ein grelles weißes Licht und ein anschwellendes Rauschen in den Ohren. Nichts weiter.
Moses tauchte in der Abenddämmerung vor ihrem Haus auf. Ana hatte am Fenster gestanden und ihn erwartet. Er wusste bereits, dass Isabel tot war. Ana machte sich nicht die Mühe, ihn zu fragen, wie er erfahren hatte, was geschehen war. Er stand da, staubig und erschöpft nach dem Graben, mit dem er begonnen hatte.
Er hat einen Tunnel graben wollen, dachte sie. Eine Öffnung, durch die ein Mensch in die Freiheit fliehen sollte. Stattdessen wird das, was er jetzt aushebt, zu einem Grab.
»Du kannst ihren Leichnam morgen abholen«, sagte sie. »Wenn du meine Hilfe brauchst, bekommst du sie. Niemand in der Festung wird dich schlecht behandeln. Isabel wird von Soldaten bewacht.«
»Ich hole sie allein«, sagte Moses. »Die letzte Reise will ich mit ihr allein machen.«
»Was geschieht jetzt mit ihren Kindern?«
Moses antwortete nicht. Er schüttelte nur den Kopf, murmelte etwas Unverständliches und ging davon.
In diesem Augenblick war sie nahe daran, ihm nachzulaufen, ihm zu folgen, wohin er auch ging, zurück zu den Minen von Rand oder Kimberley oder sonst wohin in der Welt, die sich ausbreitete, unendlich, jenseits der Berge und der weitgestreckten Hügelketten.
Aber sie blieb stehen. Ana Branca und Hanna Lundmark wussten nicht, zu welcher Welt sie gehörten.
Als sie ins Haus zurückkehren wollte, sah sie, dass Carlos seinen Platz auf dem Schornstein wieder eingenommen hatte. Im letzten Licht der untergehenden Sonne zeichnete sich nur seine Silhouette ab. Carlos sieht aus wie ein alter Mann, dachte sie. Ein Affe oder ein alter Mann, der ein bleiernes Gewicht trägt, von dem er sich nicht zu befreien vermag.
An diesem Abend machte sie eine Notiz in ihrem Buch. Sie schrieb: »Isabel, ihre Flügel, ein blauer Schmetterling, flatternd in einer Welt, in der ich sie nicht erreichen kann. Moses ist gegangen. Ihn liebe ich. Unmöglich, vergeblich, verzweifelt.«
Dann klappte sie das Buch zu, band eine rote Schleife um die Deckel und legte es in die Schreibtischschublade.
Den Wäschekorb mit dem Geld rührte sie an diesem Abend nicht an.
70
Sie stand auf der Veranda, als die Sonne sich aus dem Meer erhob. Aber Moses war nicht da. Enttäuscht kehrte sie ins Haus zurück und leerte den Wäschekorb, packte die Geldbündel in den Tresor, in Schränke und Schubladen, wo sie nur unter Schwierigkeiten Platz fanden. Danach wusch sie
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