Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
Entschluss verstehen würde. Er wollte ihr Geld nicht. Er war in den Minen zu Hause.
Doch um die Mittagszeit kam ein kleiner Junge zur Tür des Steinhauses und gab ein zugeklebtes Kuvert mit ihrem Namen darauf ab. Julietta brachte es hinauf in ihr Zimmer. Ana schickte sie weg, ehe sie den Brief öffnete. Sie kannte die Handschrift nicht. Er war, wie erhofft, von Moses. Er bat sie, nach Beira zu fahren, seine und Isabels Eltern zu suchen und ihnen zu berichten, dass sie tot war. Er wollte ihr dieses Vertrauen schenken, und er schrieb, er sei sicher, Isabel hätte seine Meinung geteilt.
Sie legte den Brief in die Schreibtischschublade und schloss ab. Den Schlüssel hängte sie sich wie gewöhnlich um den Hals.
Aber der Brief hatte sie ebenso empört wie enttäuscht. Warum entschied sich Moses dafür, ihr einen Auftrag zu erteilen, den er selbst hätte übernehmen sollen? Hatte sie sich in ihm geirrt, auf ähnliche Art wie bei O’Neill? Fehlte Moses der Mut, der seine Schwester auszeichnete? Sie spürte einen wachsenden Missmut, blieb aber zugleich unsicher, ob sie das Motiv verstanden hatte, sie um diese Reise zu bitten. Sie wusste nicht, mit wem sie sprechen sollte, um es zu verstehen. Konnte Felicia ihr wieder behilflich sein? Sie zögerte und entschied sich schließlich dafür, mit Pater Leopoldo zu sprechen, der immerhin Isabel getroffen hatte und vielleicht Moses’ Verhalten erklären könnte.
Sie fand ihn in der Kathedrale, wo er dem Kinderchor bei der Probe zuhörte. Ana erinnerte sich an ihren ersten Besuch, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ob es der Gesang der Kinder war oder die Erinnerung an das erste Mal, als sie die Kathedrale betrat, konnte sie nicht beurteilen.
Pater Leopoldo entdeckte sie und nahm sie mit in einen Raum, in dem die Priester ihre Messgewänder aufbewahrten. Der Gesang des Kinderchors drang leise durch die dicken Wände. Sie erzählte von Isabels Begräbnis und Moses’ Brief.
»Warum bittet er mich, seine Eltern aufzusuchen?«
»Er will ihnen vielleicht den größten Respekt erweisen, den er sich vorstellen kann. Eine weiße Frau mit einer Botschaft vom Tod zu schicken. Wann hat eine weiße Frau oder ein weißer Mann so etwas je für einen einfachen schwarzen Minenarbeiter getan?«
»Aber er war doch ihr Bruder.«
»Ich glaube, er wollte ihr Gedächtnis ehren, indem er die Senhora bat.«
»Warum hat er das nicht gesagt? Warum hat er versprochen, mich aufzusuchen, um mir dann nur einen Brief zu schreiben?«
»In gewisser Weise hat er sie aufgesucht. Er hat seine Bitte an Sie niedergeschrieben.«
Sie fuhr fort zu zweifeln, obwohl es in Pater Leopoldos Stimme etwas Überzeugendes gab. Sie dachte, er habe Moses wohl besser verstanden als sie.
Dann fragte Pater Leopoldo vorsichtig, wie sie Isabels Tod verkrafte. Sie sagte, wie es war, dass die Trauer sie noch nicht mit voller Wucht getroffen habe. Sie fürchte sich vor dem Augenblick, in dem es geschehen werde.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte er. »Die Senhora hat mehrmals davon gesprochen wegzugehen.«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich mich bald entscheiden muss.«
Das Gespräch wurde unterbrochen, als Pater Leopoldo zur Beichte gerufen wurde. Ana ging durch die leere Kirche. Der Kinderchor war verschwunden. Aber dann entdeckte sie einen Mann im Dunkel neben dem großen Tor. Es war Senhor Nunez. Er wartete auf sie. Ich werde die ganze Zeit beobachtet, dachte sie. Es sind so viele, die mich sehen, ohne dass ich sie sehen kann. Nunez verbeugte sich.
Sie hob die Hand. »Bitte geben Sie mir einen Moment zum Nachdenken!«
Nunez nickte und setzte sich. Ana sank auf einen Stuhl, nachdem sie Nunez den Rücken zugekehrt hatte. Sie entschloss sich fast sofort. Sie zögerte nicht länger. Jetzt wusste sie, was sie wollte.
Sie drehte den Stuhl zu Nunez hin. »Ich verkaufe mein Unternehmen«, sagte sie. »Ich möchte in englischen Pfund bezahlt werden, und zwar in einer Summe. Sie müssen versprechen, den Bestimmungen zu folgen, die heute gelten. Wie Sie später die Frauen entschädigen, ist mir gleich. An das Kinderheim, von dem Sie gesprochen haben, glaube ich nicht.«
»Ich werde Ihre Wünsche natürlich respektieren. Aber ich denke immer noch an das Kinderheim.«
Ana stand auf. »Mir müssen Sie nichts vormachen. Kommen Sie morgen Nachmittag zu mir nach Hause. Bringen Sie das Geld mit.«
»Aber wir haben uns noch nicht über den Preis geeinigt.«
»Ich nenne keinen Preis. Aber ich sage Bescheid, wenn
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