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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Menschen begegnet, der so voller Hass und Bitterkeit ist wie du, Ana Dolores. Eines Tages werden die Menschen in diesem Land von solchen wie dir genug haben.«
    Noch einmal versuchte Ana Dolores, etwas zu sagen. Aber Ana, die so erregt war, dass sie zitterte, hob nur die Hand.
    »Sag nie mehr ein Wort zu mir. Gib mir nur einen Sack, damit ich ihn mitnehmen kann.«
    Ana Dolores drehte sich um und verschwand im Haus. Sie kehrte nicht zurück. Stattdessen kam ein Dienstmädchen mit einem leeren Sack. Sie überreichte ihn, ohne auch nur einen Blick auf den toten Affen zu werfen. Ana hob Carlos hinein und wusste, dass Ana Dolores an einem der Fenster stand und sie beobachtete.
    Der Chauffeur, der im Auto gewartet hatte, kam zur Terrasse, um ihr zu helfen. Aber Ana schüttelte den Kopf. Sie wollte Carlos allein tragen.
    Auf dem Weg zurück zur Stadt bat sie den Chauffeur, an der Brücke über den Fluss zu halten. Sie stieg aus dem Auto und stellte sich an das Geländer. Ein Stück weit entfernt standen ein paar Frauen und wuschen Kleider. Sie hatten die Stoffbahnen, die sie um die Taille trugen, über den Schenkeln hochgeschlagen. Sie schwatzten, und Ana konnte eifriges Gelächter hören, während sie die Wäscheberge schlugen und kneteten. Am liebsten wäre sie zu den Frauen hinuntergegangen, hätte ihr Kleid hochgeschlagen, um beim Waschen zu helfen. Unter diesen schwarzen Frauen konnte sie eine Spur von Elin und vielleicht von sich selbst ahnen.
    Schließlich verließ sie das Brückengeländer. Sie hatte entschieden, wo Carlos begraben werden sollte.
    Als sie wieder zu Hause war, konnte sie ihren toten Affen nicht beweinen. Aber sie empfand eine grenzenlose Sehnsucht nach Lundmark, der die Trauer um Carlos mit ihr geteilt hätte. Er hätte nicht viel zu sagen gehabt, da er ein wortkarger Mann gewesen war. Aber er hätte sie trösten und ihr versichern können, dass sie nicht allein sei. Sie dachte, auf diesem für sie so verwirrenden und widersprüchlichen Kontinent sei es schließlich einzig ein Affe gewesen, auf den sie sich hatte verlassen können.
    Den Sack mit dem toten Carlos legte sie in den Eiskasten. Sie verbot Julietta und den anderen Dienstboten, ihm auch nur nahe zu kommen. Sie wusste, dass ihre Neugier groß war. Deshalb ließ sie einen Stein aus dem Garten holen, legte ihn auf den Deckel des Eiskastens und sagte, auch weiße Menschen hätten Zauberkraft, und ihre sei jetzt in dem Stein verborgen. Wer den Stein berührte, dessen Finger würden zu Splittern aus Granit verwandelt, und nichts, weder schwarze noch weiße Medizin, würde sie wiederherstellen können. Sie sah, dass sie ihr glaubten, und sie konnte nichts dagegen tun, dass es ihr in all dem Elend eine bittere Freude bereitete. Besonders darüber, dass Julietta blass wurde und sich zurückzog.
    Auch in dieser Nacht schlief sie mit Hilfe einer kräftigen Dosis des Schlafmittels. Früh im Morgengrauen war sie wieder auf den Beinen. Da der Chauffeur über eine frühe Abfahrt informiert worden war, hatte er zusammengerollt im Auto geschlafen. Er half ihr, den Sack mit Carlos aus dem Eiskasten zu tragen, und lud eine Hacke und einen Spaten ein, die Ana am Vorabend aus dem Geräteschuppen geholt hatte.
    In der stillen Morgenstunde trugen sie den Sack ins Bordell, vorbei an den schlafenden Wächtern, durch das Sofazimmer, wo nur ein paar schnarchende Männer ausgestreckt lagen.
    Der Chauffeur legte den Sack an die Stelle, die Ana ihm zeigte, neben dem Palisanderbaum. Dann kehrte er zum Auto zurück.
    Dort unter dem Baum wollte sie Carlos begraben. Der Affe sollte unter einer Wolke von blauen Blüten ruhen.
    Es gab keinen anderen Platz, der seiner würdig gewesen wäre.

76
     
    Ana hob die Hacke. Mit dieser Bewegung verwandelte sie sich wieder in Hanna Renström. So hatte sie die Hacke gehoben, als sie und Elin die Erde für das Setzen der Saatkartoffeln im Frühjahr vorbereiteten. Und Monate später, um sie zu ernten, ehe der erste Herbstfrost kam und den langen Winter ankündigte.
    An der Oberfläche war der Boden hart, aber darunter weicher und leichter aufzureißen. Sie vertauschte die Hacke mit dem Spaten und begann zu graben. Auch wenn sie es eilig hatte, brachte sie es nicht über sich, die Arbeit zu beschleunigen.
    Ein Grab auszuheben musste die Zeit haben, die es brauchte. Das Grab wurde nicht nur in die Erde gegraben. Es war genauso ein Loch, das sie in ihrem Herzen aushob.
    Als sie ein Kind war, hatte sie einmal einen toten Seetaucher begraben,

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