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Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)

Titel: Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hingegen reichte ihr kaum bis zur Schulter.
    Die Straße, auf der sie gingen: Hanna las auf einem Schild den Namen rua Bagamoio. Überall lagen Bars, einige von zischenden Gaslampen grell beleuchtet, andere mit geheimnisvoll flackernden Kerzen hinter Vorhängen, die sich bewegten, wenn jemand rasch hineinschlüpfte. Aber nur diese Straße war beleuchtet. Die engen Gassen, die von der rua Bagamoio wegführten, waren dunkel, still, leer.
    Sie dachte, es sei wie der Hochwald, der das Flusstal umgab. Dort konnte sie in einer Lichtung stehen, eingehüllt in Sonnenlicht. Wenn sie drei Schritte nach vorn zwischen die hohen Baumstämme machte, befand sie sich in einer anderen Welt, tief drinnen in der Dunkelheit.
    Abgesehen von zerlumpten Bettlern waren alle Menschen, die sich auf der Straße bewegten, weiß. Es dauerte eine Weile, bis Hanna begriff, dass es außer ihr hier draußen keine Frauen gab. Rings um sie her weiße Männer, einige Seeleute und Militärs, einige betrunken, laut, andere still, an den Hauswänden entlangschleichend, als wollten sie nicht gesehen werden. Drinnen in den Bars hingegen saßen schwarze Frauen auf Barhockern und Sofas, rauchend, schweigend.
    Sie dachte, wenn dies eine Stadt war, wie sollte sie dann den Ort bezeichnen, in dem Forsman wohnte? Konnte man die Straßen, die sie und Berta entlanggegangen waren, mit diesen geheimnisvollen Durchlässen vergleichen?
    An einem Feuer an einer Straßenecke saß ein Mann und schlug eine kleine Trommel, die auf seiner Handfläche Platz fand. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Auf dem Boden vor ihm lag ein kleines Stück Leintuch, auf dem ein paar Metallmünzen blinkten. Seine Finger pickten wie eifrige kleine Schnäbel auf das Trommelfell. Hanna hatte noch nie einen so wirbelnden Rhythmus gehört. Sie blieb stehen. Vaz wurde für einen Moment ungeduldig, kramte dann aber eine Münze hervor, die er auf das Leintuch warf, und zog sie weiter.
    »Er war barfuß«, sagte Vaz. »Wenn die Polizei kommt, nimmt sie ihn mit.«
    Hanna verstand den Zusammenhang nicht. Aber sie hatte gesehen, dass der Mann mit der kleinen Trommel keine Schuhe trug.
    »Warum?«, fragte sie.
    »In der Stadt sind Neger ohne Schuhe nicht zugelassen«, sagte Vaz. »So sehen die Regeln aus. Nach neun Uhr abends haben sie überhaupt nicht die Erlaubnis, sich in unseren Straßen aufzuhalten. Sie haben keine Arbeit und keine Papiere. ›Kein schwarzer Mann und keine schwarze Frau hat Zugang zu den Straßen der Stadt, ohne Schuhe an den Füßen zu tragen.‹ So lauten die Gesetze. Das erste Zeichen dafür, dass ein Mensch zivilisiert ist, sind Schuhe an seinen Füßen.«
    Wieder war sie unsicher, ob sie verstanden hatte. »Unsere Straßen?« Wem gehörten denn die Straßen?
    Senhor Vaz blieb vor einem Restaurant stehen, das im Dunkel lag. Hanna meinte, das Wort morte auf dem Namensschild zu erkennen, dachte aber, sie müsse sich täuschen. Ein Restaurant im Freudenviertel konnte sich kaum nach etwas benennen, was den Tod zum Inhalt hatte.
    Aber es war dieses Wort, das sie gesehen hatte, und es bedeutete »Tod«. Das war eins der ersten Wörter, die sie aus Forsmans Wörterbuch gelernt hatte.
    Sie aßen Fisch, der über offenem Feuer gebraten wurde. Senhor Vaz wollte sie auf ein Glas Wein einladen, aber Hanna schüttelte den Kopf, und er bestand nicht darauf. Er war sehr freundlich, stellte nur wenige Fragen nach ihrem Befinden, und es schien ihm sehr am Herzen zu liegen, dass es ihr gut ging.
    Aber etwas an seiner Art machte sie vorsichtig, vielleicht misstrauisch. Sie beantwortete seine Fragen, hatte aber trotzdem das Gefühl, die Türen zu ihrem Inneren geschlossen und zugesperrt zu haben.
    Gegen Ende des Essens erzählte er, eine Krankenschwester würde am folgenden Tag ins Hotel kommen. Sie würde so lange bleiben, wie Hanna ihre Hilfe benötigte. Hanna versuchte zu protestieren. Sie bekomme schon so viel Hilfe, von Laurinda und Felicia.
    Aber Senhor Vaz widersprach. »Sie brauchen eine weiße Krankenschwester«, sagte er. »Auf die schwarzen ist kein Verlass. Auch wenn sie Ihnen wohlgesinnt scheinen, kann es in Wirklichkeit so sein, dass sie dabei sind, Sie zu vergiften.«
    Hanna war sprachlos. Hatte sie richtig gehört? Sie glaubte ihm nicht. Zugleich wusste sie, dass eine weiße Frau ihr vielleicht bessere Gesellschaft bieten könnte.
    Sie gingen langsam durch die Nacht nach Hause. Senhor Vaz legte plötzlich ganz leicht den Arm um sie. Sie schob ihn nicht zurück.
    Wieder im Haus,

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