Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
später gründete Senhor Vaz dieses Bordell. Mit dem Geld, das er von seinem Vater geerbt hatte. Das ist alles, was ich weiß.«
»Es hat also nie eine Frau in seinem Leben gegeben?«
Felicia lächelte. »Manchmal verstehe ich die Fragen der weißen Menschen nicht«, sagte sie. »Natürlich hat es Frauen in seinem Leben gegeben. Wie viele und welche, das weiß ich nur zum Teil. Aber er macht es wie andere Bordellbesitzer hier in der Stadt. Er rührt nie seine eigenen Mädchen an, sondern geht in die Häuser seiner Kollegen.«
»Aber warum will er mich heiraten?«
»Weil du weiß bist. Ich glaube, es imponiert ihm auch, dass du es dir leisten kannst, hier zu wohnen und dafür zu bezahlen. Außerdem leidet er an der Einsamkeit, die alle Weißen hier im Land trifft.«
»Mein Geld ist bald zu Ende.«
Felicia betrachtete sie plötzlich nachdenklich. »Du bist nicht mehr krank«, sagte sie schließlich. »Jetzt bist du stark genug, um deine Reise fortzusetzen, wohin sie auch führen sollte. Aber du ziehst es vor hierzubleiben. Etwas hält dich zurück. Oder ist es deshalb, weil du nichts hast, wohin du weiterreisen oder zurückkehren willst? Aber jetzt hat Senhor Vaz dir einen Antrag gemacht. Man kann schlechtere Männer heiraten. Er wird dich mit Respekt behandeln. Er schenkt dir ein großes Haus. Das ist etwas, was mein Mann mir nie geben könnte. Ateme ist Fischer, und wir haben zwei Kinder. Ich freue mich, ihn zu sehen, wenn ich heimkomme.«
»Wer kümmert sich um deine Kinder, wenn du hier bist?«
»Das tut ihre Mutter.«
Hanna schüttelte den Kopf. Sie verstand nicht. »Ihre Mutter? Ich dachte, du bist ihre Mutter.«
»Meine Schwester. Sie ist auch ihre Mutter. Auf die gleiche Art, wie ich die Mutter ihrer Kinder bin. Oder die Mutter der Kinder meiner zweiten Schwester.«
»Wie viele Schwestern hast du?«
»Vier.«
Hanna überlegte. Es gab natürlich noch eine weitere Frage, die sie gern stellen wollte. »Was sagt dein Mann dazu, dass du hier arbeitest?«
»Nichts«, antwortete Felicia einfach. »Er weiß ja, dass ich ihm treu bin.«
»Treu? Hier?«
»Ich bin ja nur mit weißen Männern zusammen. Gegen Bezahlung. Das kümmert ihn nicht.«
Hanna versuchte zu verstehen. Aber der Abstand schien sich zu vergrößern, statt kleiner zu werden. Die Welt, in der sie hier lebte – sie verstand sie nicht.
Wieder dachte sie an Carlos. Der sich nicht mehr wie ein Affe verhielt, aber auch nicht wie ein Mensch.
Der einsame Schimpanse hatte sich in seiner weißen Kellnerjacke versteckt.
Welche Verwandlung ging mit ihr selbst vor?
40
An diesem Abend entschloss sich Hanna, Senhor Vaz’ Heiratsantrag anzunehmen. Ausschlaggebend für ihren Entschluss war die Einsicht, dass sie nicht länger als Witwe zu leben vermochte. Vielleicht würde sie eines Tages Liebe für ihn empfinden wie damals für Lundmark?
Tags darauf gab sie ihm ihre Antwort. Senhor Vaz schien nicht besonders erstaunt zu sein, vielmehr betrachtete er ihr Ja als eine Art Formalität.
Drei Wochen später heirateten sie mit einer einfachen Zeremonie in der Wohnung des katholischen Priesters neben der Kathedrale. Die Trauzeugen kannte Hanna nicht. Senhor Vaz hatte auch Carlos mitgenommen, in seinen Frack gekleidet, doch der Priester hatte sich geweigert, den Affen dabeizuhaben. Die Anwesenheit des Schimpansen wäre Gotteslästerung. Senhor Vaz hatte nachgeben müssen. Während der Trauung kletterte Carlos in seinem Frack am Glockenturm hinauf. Nach der Zeremonie gab es ein Essen im feinsten Hotel der Stadt, das auf einem Hügel mit Blick aufs Meer lag. Daran nahm Carlos teil, weil sie einen privaten Raum hatten.
Die Hochzeitsnacht verbrachten sie in einer Suite im Hotel. Es duftete nach Lavendel, als Hanna den Raum betrat.
Als sie das Licht gelöscht hatten, fühlte sie den warmen Atem ihres neuen Mannes an ihrem Gesicht. In einem kurzen, verwirrten Moment hatte sie das Gefühl, Lundmark sei zu ihr zurückgekehrt. Doch dann nahm sie den Geruch von Pomade in den schwarzen Haaren wahr, und der Zauber verflog.
Sie wartete auf das, was geschehen würde, und machte sich bereit. Aber Senhor Vaz, oder Attimilio, wie sein Vorname lautete, gelang es nicht, in sie einzudringen. Er versuchte es wieder und wieder. Aber er war kraftlos wie ein gebrochenes Holz.
Schließlich drehte er sich von ihr weg und rollte sich zusammen, als schämte er sich.
Hanna fragte sich, ob sie einen Fehler gemacht habe. Aber als sie am folgenden Tag ihren Mut zusammennahm
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