Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
der Frauen abspielte. Gespräche, wie sie sie hin und wieder mit Felicia geführt hatte, würden auch nicht mehr möglich sein. Sie war jetzt die Besitzerin des Bordells, und damit hatte sich ein Abgrund zwischen ihr und den Frauen geöffnet, denen sie früher so nahegestanden hatte, wie die Rassengesetze es zuließen.
Die Unruhe kam als plötzliche Atemnot. Sie klammerte sich an die Armlehnen des Sofas, um nicht zu fallen. Ich kann nicht bleiben, dachte sie. Ich habe hier nichts zu suchen. Auf einem fremden Kontinent, dessen Einwohner mich entweder hassen oder fürchten.
Immer noch waren ihre Gedanken unklar, aber sie ahnte, was sie tun musste. Schon morgen würde sie Andrade kommen lassen und ihn bitten, einen Käufer für das Bordell zu suchen. Bestimmt würde es nicht an Spekulanten fehlen, die bereit waren, für den guten Namen und den Ruf des Bordells zu zahlen. Dann würde sie abreisen, so schnell sie nur konnte. Mit dem Geld, das sie schon hatte, und dem, was sie durch den Verkauf bekommen würde, wäre ihr Zukunft gesichert. Eine reiche Frau würde Afrika hinter sich lassen. Ein rascher Besuch war es geworden. Zwei kurze Ehen, zwei unerwartete Todesfälle, und dann nichts mehr.
Ich habe nur ein Problem, dachte sie. Was soll mit Carlos geschehen? Ich kann ihn nicht in mein kaltes Land mitnehmen, wo er erfrieren würde. Aber wer wird sich um ihn kümmern, wenn er nicht in die Wälder zurückkehren will, aus denen er gekommen ist? Wenn er nicht einmal mehr ein Affe sein will?
Sie fand keine Antwort. Als das Auto kam und sie Carlos rief, kletterte er sofort vom Baum herunter.
Aber gerade als er unten angekommen war, zuckte er zusammen, als hätte er sich an der hart gestampften Erde verbrannt. Carlos schnupperte ein paarmal und eilte dann auf sie zu.
Sie sah ihn fragend an. Warum hatte der Boden unter dem Baum ihm Angst gemacht? Aber Carlos verriet nichts. Er setzte sich nur im Auto an ihre Seite und verzog das Maul zu einem Grinsen, als der Wind vom Meer sein Gesicht traf.
46
Kurz vor seinem Tod hatte Senhor Vaz, als hätte er eine Ahnung von seinem nahenden Ende, zu Hanna gesagt: »Wenn du einmal einen Rat brauchst und ich nicht in der Nähe bin, wende dich an Senhor Pedro Pimenta.«
»Warum gerade an ihn?«, hatte sie gefragt. »Ich weiß nicht einmal, wer er ist.«
»Ich kenne keinen Menschen, der ehrlicher ist«, hatte er geantwortet. »Allein schon das. Er ist der einzige Mensch in diesem Land, den ich nie beim Lügen ertappt habe. Sprich mit Pedro Pimenta, wenn du einen Rat brauchst. Und vertraue darauf, dass Herr Eber sich um die Geldangelegenheiten kümmert und keinen Escudo von unseren Einkünften stiehlt. Er glaubt, er stehe unter dem besonderen Schutz Gottes. Einen besseren Kassierer kann man sich nicht wünschen. Gott hat ein Gitter vor die diebischen Versuchungen geschmiedet, die er vielleicht in sich trägt, ganz zuinnerst.«
Pedro Pimenta war ein Einwanderer aus Coimbra. Er hatte eine erstaunliche Karriere gemacht, nachdem er in die afrikanische Kolonie gekommen war. Als Gehilfe eines Schneiders, der sich entschlossen hatte, sein Glück in den afrikanischen Kolonien zu suchen, hatte Pedro Pimenta sich nach Angola und in die Stadt Luanda begeben wollen. Es hieß, die weiße Bevölkerung dort brauche dringend einen Schneider. Aber das Schicksal hatte gewollt, dass der Schneidermeister, der seine Reisekosten bezahlt hatte, sich für das Land entschied, das damals noch Portugiesisch-Ostafrika hieß. Während der ersten drei Monate nach der Ankunft war Pedro Pimenta, damals erst siebzehn Jahre alt, zutiefst erschrocken über alles, womit der fremde Kontinent ihn überschwemmte. Er fürchtete sich zu Tode vor der Dunkelheit der Nacht, vor den flüsternden Stimmen der Schwarzen, vor Schlangen, die er nie sah, und vor Spinnen, die sich in allen Winkeln verbargen. Auch wenn es viele Jahre her war, seit Raubtiere nachts in die Städte eingedrungen waren, fürchtete er, es könnte einem Löwen gelingen, sich durch ein Fenster zu zwängen und ihn zu zerfleischen. Während dieser ersten drei Monate lebte Pedro Pimenta völlig verbarrikadiert. Da er nachts kaum schlief, vermochte er auch tagsüber kaum zu arbeiten. Der Schneidermeister warf ihn aus dem kleinen Haus am Hafen, wo die Schneiderei sich eingerichtet hatte.
Dass Pedro Pimenta seine Arbeit verloren hatte, bedeutete zwar nicht seinen Untergang, aber er musste lernen, seine irrsinnige Angst zu bezwingen und die Verantwortung für sein
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