Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
sie auch da am Kai der Stadt angelegt? Aber Svartman erzählte, sie seien direkt nach Port Elizabeth gefahren, um Stückgut zum französischen Hafen Rouen an Bord zu nehmen.
Sie fragte nach Halvorsen und den anderen Seeleuten. Und nach Forsman und Berta. Er antwortete einsilbig und schien es plötzlich eilig zu haben. Hanna verstand, dass er nicht länger als nötig im Bordell bleiben wollte. Der Besuch bei Felicia war in aller Heimlichkeit geschehen, keiner von der Besatzung sollte davon erfahren.
Hanna dachte enttäuscht, Kapitän Svartman sei genau wie andere Männer. Sie verdrängten die Wahrheit über sich selbst, über das, was sie im Schutz der Nacht oder in den frühen Morgenstunden unternahmen.
Aber war sie selbst besser? Stellte sie sich denn der Wahrheit? Sie saßen ganz einfach da unter dem schönen Palisanderbaum und tauschten Belanglosigkeiten aus.
»Wie lange bleiben Sie im Hafen?«, fragte sie.
»Bis morgen.«
»Ich möchte das Schiff gern besuchen. Und ich werde natürlich niemandem erzählen, dass ich Sie hier getroffen habe.«
Sie erkannte einen zögernden Funken in seinen Augen, als er versuchte, sich zu entscheiden, ob er ihr glauben konnte. Aber sie sah ihm fest in die Augen. Sie war ihm jetzt ebenbürtig, war nicht mehr die verschüchterte Köchin, die ein Jahr zuvor einen tiefen Knicks vor ihm gemacht hatte.
Sie stand auf und beendete das Gespräch. Sie ließ ihn frei.
Draußen auf der Straße trennten sie sich.
»Heute Nachmittag passt es gut«, sagte Svartman. »Jetzt am Morgen habe ich Geschäfte zu erledigen und das Bunkern zu überwachen.«
Der Pfau war verschwunden. Die Straße lag verlassen in der sengenden Sonne.
Sie streckte die Hand aus. »Ich komme heute Nachmittag«, sagte sie. »Wenn es passt.«
»Ich werde da sein.«
Er verbeugte sich und schien plötzlich zu zögern. »Peltonen ist tot«, sagte er. »Er ist eines Nachts vor der ägyptischen Küste über Bord gefallen. Niemand hatte entdeckt, dass er fort war, bis zum Morgen.«
»Peltonen hat die Tiefe von Lundmarks Grab vermessen«, sagte Hanna. »1935 Meter.«
Svartman nickte. Dann drehte er sich um und ging davon. Er bog an der nächsten Straßenecke ab.
Er hat nicht den kürzesten Weg zum Hafen gewählt, dachte Hanna. Er ist so schnell wie möglich abgebogen, um meine Augen nicht im Nacken zu haben.
Plötzlich fragte sie sich, ob er und seine Leute je einen Eisberg zu Gesicht bekommen hatten.
Dann fuhr sie wieder zurück in ihr Steinhaus.
Dort setzte sie sich hin, um drei Briefe zu schreiben, die nicht warten konnten.
51
Erst als sie den Brief durchlas, den sie an Elin geschrieben hatte, war es wie ein Schock für sie. Statt von ihrer Reise zu schreiben, hatte sie etwas erzählt, was einem Märchen glich. Mit Wirklichkeit hatte nur zu tun, dass sie Lundmark kennengelernt, ihn geheiratet und dann hatte zusehen müssen, wie er im Meer bestattet wurde. Was danach geschehen war, ihre Flucht und die Begegnung mit dem Bordellbesitzer Vaz, hatte sie ganz und gar ausgelassen. Sie hatte nur geschrieben, sie befinde sich in Afrika, es gehe ihr gut und sie sei auf dem Weg nach Hause. Als Erklärung dafür, warum sie die Reise nach Australien nicht fortgesetzt hatte und mit der Lovisa zurückgekehrt war, hatte sie in vagen Worten eine ernsthafte, aber kurzfristige Krankheit angedeutet, von der sie jetzt genesen sei.
Sie schob den Brief von sich. Erst jetzt wurden ihr die Konsequenzen dessen bewusst, was Kapitän Svartman gesagt hatte. Was Forsman erfahren haben musste, als das Schiff in Sundsvall am Kai angelegt hatte, nachdem es aus Australien zurückgekehrt war. Und wovon auch Elin in dem Haus im fernen Fjäll irgendwann erfahren haben musste.
Ihre Tochter war tot. Lange Zeit hatte Elin nun mit der Trauer darüber gelebt, dass Hanna in einem fremden Land gestorben war. Was geschehen war, wusste sie nicht, auch nicht, wo sie begraben war. Wenn es denn überhaupt ein Grab gab.
Bei diesem Gedanken begann Hanna zu weinen. Plötzlich entdeckte sie, dass Julietta durch die halbgeöffnete Tür spähte. Hanna ergriff Senhor Vaz’ alten Briefbeschwerer und warf ihn wütend nach ihr. Julietta duckte sich und schloss rasch die Tür.
Hanna wollte in Ruhe weinen. Aber es war, als hätte sie nicht einmal dafür Zeit. Sie zerriss den Brief und begann mit zitternder Hand einen neuen.
»Ich lebe«, schrieb sie. Das war das Wichtigste. »Ich lebe.« Der ganze Brief war wie ein einziges Verlangen, beim Wort genommen zu
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