Erinnerung an einen schmutzigen Engel: Roman (German Edition)
wir es mit der Achtung, die wir verlangen, nicht so genau nehmen.«
Ana sah ein, dass es sinnlos war, mit Sullivan zu diskutieren. »Gibt es noch andere Regeln, die ab jetzt gelten werden?«, fragte sie stattdessen.
»Wir werden nur noch eine äußerst begrenzte Anzahl von Besuchern dulden.«
»Welche denn?«
»Sie natürlich. Den Priester, der hier herumwandelt und versucht, verlorene Seelen einzufangen. Sowie einen Arzt, wenn es nötig ist. Niemand sonst.«
»Was geschieht, wenn Isabel einen juristischen Berater bekommt?«
Sullivan brach in Gelächter aus und ließ beträchtliche Zahnlücken sehen. »Wer sollte sie beraten? Und wobei?«
Ana fragte nichts mehr. Sie ging in die Dunkelheit hinein, wo Isabel regungslos auf ihrer Pritsche saß, als hätte sie sich seit Anas Besuch am Vortag nicht bewegt. Aber der Korb war leer: Isabel lebte noch. Sie aß.
»Jemand wird dich besuchen«, sagte Ana. »Es ist hoffentlich ein kluger Mann, der mir helfen könnte, dich freizubekommen. Aber er wird sich als Arzt vorstellen, wenn er hier eintritt. Da er dieselbe Sprache spricht wie du, wird niemand verstehen, was ihr sagt, auch ich nicht.«
Isabel antwortete nicht. Aber Ana spürte, dass sie zuhörte.
»Nächstes Mal, wenn ich komme, bringe ich dir saubere Kleider mit«, fuhr sie fort. »Dann sind drei Monate vergangen, seit du hier eingesperrt bist. Ich werde auch einen weiteren Versuch machen zu verlangen, dass du genug Wasser bekommst, um dich zu waschen.«
Ana blieb nur wenige Minuten. Das Wichtige war jetzt nicht ihr Besuch, sondern dass Pandre Isabels Situation würde verändern können.
Auf dem Weg zurück machte sie einen Umweg zum Hafen. Als O’Neill nach dem Grund fragte, wurde sie wütend. Ihr gefiel seine Wissbegier nicht. Sie hatte Seiten an O’Neill entdeckt, die sie nicht mochte. Sein ständiges Horchen irritierte sie. Außerdem hieß es, er sei in Gesellschaft eines anderen Bordellbesitzers gesehen worden. Vielleicht hatte sie einen Fehler gemacht, als sie ihn anstellte?
»Was treibt diese Frau den ganzen Tag?«, fragte er jetzt. »Bereut sie ihre Sünden? Schlägt sie an die Wände wie auf Trommeln? Verdreht sie die Augen?«
Ana blieb abrupt stehen. »Noch ein Wort von dir, und du kannst gehen und niemals wiederkommen.«
»Ich stelle doch nur Fragen.«
»Kein Wort mehr. Kein Wort. Zu deiner Arbeit gehört ab jetzt, den Mund zu halten.«
O’Neill zuckte die Achseln. Aber Ana merkte, dass er die Gefahr erkannt hatte.
Im Hafen sah Ana, dass eins der englischen Schiffe abgelegt hatte. Wahrscheinlich war es genau das Schiff, auf dem Halvorsen als Zimmermann angeheuert hatte.
Sie bemerkte, dass O’Neill sie mit prüfendem Blick musterte. Als sie den Hafen verließen, befahl sie ihm, so lange zu warten, bis sie um die erste Straßenecke verschwunden war.
Ein paar Tage darauf kündigte Pandre in einem Telegramm seine Ankunft an. Ana empfing ihn an dem neu errichteten Bahnhofsgebäude. Obwohl Pandre mitgeteilt hatte, er werde nur zwei Tage bleiben, hatte er mehrere Koffer, Taschen und Hutschachteln bei sich. Vier Träger luden das Gepäck auf zwei Karren und zogen es zu dem Auto, das sie wieder von Andrade geliehen hatte. Eine Pferdekutsche wurde mit dem beladen, was nicht in den Kofferraum passte.
Sie fuhren zu dem Hotel, in dem Ana gemäß den Anordnungen in Pandres Telegramm die größte Suite gemietet hatte. Ana war bei der Reservierung unruhig geworden. Würde man Pandre, der Inder war, als Gast akzeptieren? Aber der Hoteldirektor hatte sie beruhigt. Ein Anwalt indischer Abstammung war willkommen. Ana, die alle Reiseauslagen für Pandre bezahlen musste, deponierte eine Summe, um die Kosten zu decken. Sie begann sich zu fragen, ob Pandre bewusst alles tat, um möglichst viel Geld aus ihr herauszupressen. Oder war das seine Art zu wohnen, wenn er Johannesburg in dienstlichen Angelegenheiten verließ?
Nachdem Pandre ein Bad genommen, einen weißen, frisch gebügelten Anzug angelegt und schließlich die Aussicht bewundert hatte, setzten sie sich zu einer Mahlzeit in den leeren Speisesaal.
Über den Bergen zum Inland hin brauten sich dunkle Wolken zu einem Unwetter zusammen, das bis zum Abend eintreffen würde. Ana berichtete Pandre von ihrem Gespräch mit dem neuen Kommandanten der Festung. Pandre müsse sich als Arzt ausgeben, um eingelassen zu werden.
»Ich habe keinen weißen Kittel in meinem Gepäck«, sagte er. »Als Anwalt muss man sich normalerweise nicht verkleiden.«
»Ich
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