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Erinnerung an meine traurigen Huren

Erinnerung an meine traurigen Huren

Titel: Erinnerung an meine traurigen Huren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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Wohltaten: Niemand täusche sich, nein, das Erwartete dauert fürwahr nicht länger als das, was war. Die Kleine wimmerte im Traum, und ich betete auch für sie: Denn alles vergeht auf gleiche Weise. Dann drehte ich das Radio aus und löschte zum Schlafen das Licht.
    Ich wachte im Morgengrauen auf und wusste nicht, wo ich war. Das Mädchen schlief noch immer in Fötallage und wandte mir den Rücken zu. Ich hatte das unbestimmte Gefühl, gespürt zu haben, wie sie im Dunkeln aufgestanden war, glaubte, die Spülung im Bad gehört zu haben, aber vielleicht war das auch nur ein Traum gewesen. Ich kannte nicht die Tricks der Verführungskunst, hatte die Bräute für eine Nacht immer nach dem Zufallsprinzip gewählt und mich dabei eher vom Preis als von ihren Reizen leiten lassen, und wir hatten uns ohne Liebe geliebt, meistens noch halb angekleidet und immer im Dunkeln, um uns Besseres vorstellen zu können. In jener Nacht entdeckte ich das unglaubliche Vergnügen, den Körper einer schlafenden Frau zu betrachten, ohne vom Begehren gedrängt oder von der Scham behindert zu werden.
    Um fünf Uhr stand ich von Unruhe getrieben auf, da meine Sonntagsglosse vor zwölf in der Redaktion sein musste. Ich verrichtete pünktlich mein Geschäft, schmerzhaft brannte noch der Vollmond, und als ich die Kette der Wasserspülung losließ, spürte ich, wie der Groll der Vergangenheit durch die Kanalisation fortgeschwemmt wurde. Als ich frisch und angekleidet zurück ins Zimmer kam, schlief das Mädchen auf dem Rücken, im versöhnlichen Licht der Morgenröte; sie lag quer auf dem Bett, die Arme seitlich ausgestreckt, ganz Herrin ihrer Unschuld. Gott möge sie dir erhalten, sagte ich zu ihr. Alles Geld, das mir noch übrig blieb, das ihre und das meine, legte ich auf das Kopfkissen und verabschiedete mich für immer mit einem Kuss auf die Stirn. Das Haus kam, wie jedes Bordell bei Tagesanbruch, dem Paradies sehr nahe. Ich ging durch die Gartenpforte hinaus, um niemandem zu begegnen. Auf der Straße, unter der brennenden Sonne, begann ich das Gewicht meiner neunzig Jahre zu spüren und Minute um Minute die Minuten der Nächte zu zählen, die bis zu meinem Tod noch fehlten.

2
    Ich schreibe diesen Bericht umgeben von den Resten der elterlichen Bibliothek, deren Regale dank der Ausdauer der Holzwürmer kurz vorm Zusammenbrechen sind. Für das, was mir auf der Welt noch zu tun bleibt, würden mir allerdings auch meine verschiedenen Wörterbücher genügen, die ersten beiden Bände der Episodios nacionales von Benito Pérez Gal-dós und Der Zauberberg, der mich lehrte, die von der Schwindsucht vergällten Stimmungen meiner Mutter zu verstehen.
    Anders als den übrigen Möbeln und mir selbst scheint es dem großen Tisch, an dem ich schreibe, mit den Jahren immer besser zu gehen, da ihn mein Großvater väterlicherseits, ein Schiffszimmermann, aus edlen Hölzern gefertigt hat. Auch wenn ich nichts zu schreiben habe, räume ich ihn jeden Morgen mit der müßigen Strenge auf, die mich um so viele Lieben gebracht hat. In Reichweite liegen meine vertrauten Bücher: die beiden Bände des Ersten illustrierten Wörterbuchs der Königlichen Akademie von 1905, der Thesaurus der kastilischen oder spanischen Sprache von Sebastián de Covarrubias, die Grammatik von Andrés Bello, falls es, wie üblich, irgendeinen semantischen Zweifel gibt, das neuartige Wörterbuch von Don Julio Casares, vor allem wegen der Synonyme und Antonyme, dazu noch das Vocabulario della Lingua Italiana von Nicola Zingarelli, um mich mit dem Idiom meiner Mutter zu verwöhnen, das mir seit der Wiege vertraut ist, und das Wörterbuch des Lateinischen, das ich als meine natürliche Sprache ansehe, da es die Mutter der anderen beiden ist.
    Links auf dem Schreibtisch liegen immer die fünf Folioblätter aus Leinen im Offizformat für meine Sonntagsglosse sowie das Horn mit Löschsand, das ich dem modernen Löschpa-pierkissen vorziehe. Rechts steht das Tintenfass, daneben der Federhalter aus leichtem Holz mit einer goldenen Feder, denn ich schreibe noch mit der Hand in der romantischen Schrift, die mir Florina de Dios beibrachte, damit ich mir nicht die Amtsschrift ihres Mannes angewöhnte, der bis zum letzten Atemzug Notar und vereidigter Buchprüfer blieb. Schon vor langem machte die Zeitung zur Auflage, die Texte auf der Maschine zu schreiben, um sie besser für den Bleisatz berechnen und den Umbruch genauer planen zu können, doch ich übernahm diese schlechte Angewohnheit nicht. Ich

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