Erinnerung Des Herzens
worden, die dich geliebt haben, und du wurdest von Menschen gezeugt, die einander immer noch lieben. Du kannst das einen Fehler nennen, aber ich schwöre dir, du hast den besseren Teil gehabt.«
Sie konnte darauf einiges geantwortet haben, verletzende Worte, die ihr durch den Kopf gingen, die sie aber vor Scham und Abscheu vor sich selbst nicht aussprach. »Es tut mir leid.« Ihre Stimme klang belegt, aber nicht mehr rau vor Schmerz. »Es gibt keinen Grund, das alles vor dir auszubreiten oder in Selbstmitleid zu versinken.«
»Ich würde sagen, es gibt genügend Gründe für beides. Willst du dich jetzt hinsetzen und mit mir reden?«
Sie wischte sich die letzten Tränen ab und schüttelte den Kopf. »Nein. Ich bin in Ordnung, wirklich. Ich hasse es, die Beherrschung zu verlieren.«
»Das solltest du nicht.« Um nicht nur sie, sondern auch sich selbst zu beruhigen, strich er ihr mit den Fingern das Haar aus dem Gesicht. »Du machst das so gut.« Weil es jetzt richtig zu sein schien, nahm er sie wieder in die Arme und legte seine Wange an ihren Kopf. »Du hast einen schweren Abend hinter dir, Jules. Vielleicht solltest du versuchen zu schlafen.«
»Ich glaube nicht, dass ich das kann. Aber ich könnte ein paar Aspirin gebrauchen.«
»Ich bringe dir welche.« Er legte den Arm um sie, als sie in die Küche zurückgingen. Es roch nach Butter. Wahrscheinlich hatten sie nach den Hamburgern noch Popcorn gemacht, dachte sie. »Wo ist das Aspirin?«
»Im obersten Küchenbord, links.« Sie setzte sich an den Tisch und schloß die Augen. »Nach einem Wutanfall bekomme ich immer Kopfschmerzen.«
Er gab ihr die Tabletten und ein Glas Wasser. »Möchtest du etwas Tee?«
»Ja, gern, danke.« Sie lehnte sich zurück, preßte die Finger gegen die Stirn und zog kleine Kreise damit, bis ihr einfiel, dass das eine für Eve ganz typische Geste war. Sie legte die Hände in den Schoß und beobachtete Paul.
Es war seltsam, hier zu sitzen, während jemand anders in der Küche hantierte. Sie war so daran gewöhnt, alles selbst zu machen, alle Probleme zu lösen, jeden Schaden selbst zu beheben. Jetzt musste sie all ihre Energie und ihren ganzen Willen aufbieten, um nicht den Kopf einfach auf die Tischplatte zu legen und zu weinen.
Warum? Diese Frage quälte sie am meisten. Warum?
»Nach so langer Zeit«, murmelte sie. »Nach all den Jahren. Warum hat sie es mir jetzt erzählt? Sie hat gesagt, sie hat immer Informationen über mich bekommen. Warum hat sie bis jetzt gewartet?«
Dasselbe hatte er auch schon gedacht. »Hast du sie gefragt?«
Mit hängenden Schultern saß sie da und starrte mit immer noch feuchten Augen auf ihre Hände. »Ich weiß nicht einmal, was ich zu ihr gesagt habe. Ich war außer mir vor Schmerz und Ärger. Ich bin schrecklich jähzornig, deshalb versuche ich ernsthaft, nicht die Beherrschung zu verlieren.«
»Du, Jules?« sagte er leichthin und strich ihr mit der Hand übers Haar. »Du bist jähzornig?«
»Ganz entsetzlich.« Sie schaffte es nicht, sein Lächeln zu erwidern. »Zum letzten Mal bin ich vor etwa zwei Jahren total aus der Rolle gefallen. Eine Lehrerin hatte Brandon für mehr als eine Stunde in der Ecke stehen lassen. Er war gedemütigt und wollte nicht mit mir darüber reden, deshalb ging ich zur Schule. Ich wollte die Sache klären, weil Brandon nicht gerade zu den Unruhestiftern gehört.«
»Ich weiß.«
»Es stellte sich heraus, dass die Kinder Karten zum Vatertag malen sollten, und Brandon dabei nicht mitmachen wollte. Er, ja, er wollte es einfach nicht.«
»Verständlich.« Paul goss kochendes Wasser über die Teebeutel.
»Und?«
»Die Lehrerin sagte ihm, er sollte es einfach als eine Schulaufgabe betrachten, und als er sich weiterhin weigerte, bestrafte sie ihn. Ich versuchte, ihr die Situation zu erklären, und dass Brandon in dieser Hinsicht empfindlich war. Doch sie verzog ihre schmalen Lippen zu einem höhnischen Grinsen und erklärte, er wäre verdorben und würde es genießen, andere absichtlich zu manipulieren. Sie sagte, wenn man es ihm nicht beibrächte, seine Situation zu akzeptieren, würde er weiterhin den Unfall seiner Geburt - das waren ihre Worte - Unfall, als Entschuldigung benutzen und nie ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden.«
»Ich hoffe, du hast sie niedergeschlagen.«
»Genau das habe ich getan.«
»Nein.« Er musste grinsen. »Wirklich?«
»Es ist nicht lustig«, sagte sie, spürte aber zugleich, wie sie lachen musste. »Ich kann mich nicht
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