Erinnerung Des Herzens
freundlich, »hatte einen furchtbaren Schock. Sie haben es gewusst, nicht wahr?«
»Was ich weiß, geht nur mich etwas an.« Mit zusammengepreßten Lippen schaute sie zur Treppe hinüber. »Ebenso wie es meine Angelegenheit ist, mich um sie zu kümmern. Was immer Sie ihr sagen wollen, muss Zeit haben bis morgen. Heute hat sie genug durchgemacht.«
»Travers.« Eve trat aus dem Schatten und ging zwei Stufen hinunter. Sie trug ein langes, schmal geschnittenes Kleid in dunkelroter Seide. Ihr Gesicht wirkte wie ein bleiches Oval. »Es ist in Ordnung. Ich möchte mit Paul sprechen.«
»Sie haben mir gesagt, Sie würden gleich Schlafengehen.«
Eve ließ ihr schnelles Lächeln aufblitzen. »Ich habe gelogen. Gute Nacht, Travers.«
Sie wandte sich um in der Gewißheit, dass Paul ihr folgen würde.
Weil er loyal sein wollte, warf er der Haushälterin noch rasch einen Blick zu. »Ich kümmere mich darum, dass sie bald ins Bett geht.«
»Ich verlasse mich darauf.« Nach einem letzten Blick nach oben ging sie auf ihren schallgedämpften Hausschuhen fort.
Eve wartete in dem Wohnzimmer auf ihn, das an ihr Schlafzimmer grenzte. Es war mit großen Sitzkissen und niedrigen, einladenden Sesseln ausgestattet. Es herrschte die übliche abendliche Unordnung. Aufgeblätterte Illustrierte lagen herum, ein fast leeres Champagnerglas, Tennisschuhe, die sie anscheinend sorglos abgestreift hatte, ein Farbfleck in Purpur und Scharlach am Boden war das Kleid, das sie vor dem Bad ausgezogen hatte. Alles war hell und voller Leben. Sie saß mittendrin, und als Paul sie anschaute, wurde ihm zum ersten Mal bewusst, wie stark sie alterte.
Es zeigte sich besonders an den Händen, die plötzlich zu zart und zu dünn für den übrigen Körper wirkten, in den feinen Linien, die sich seit ihrem letzten Liften wieder um die Augen gebildet hatten, und nicht zuletzt in der Müdigkeit, die ihr Gesicht zeichnete.
Sie sah hoch, las alles in seinem Gesicht, was sie wissen wollte, blickte wieder weg und fragte: »Wie geht es ihr?«
»Sie schläft jetzt.« Er nahm den Sessel, der ihrem gegenüber stand. Es war nicht das erste Mal, dass er spät in der Nacht hierhergekommen war, um sich mit ihr zu unterhalten. Die Polster, die Kissen und die Vorhänge waren neu.
Aber vieles war gleichgeblieben. Da waren all die Düfte, die er seit seiner Kindheit so liebte. Puder, Parfüm und Blumen - alles wies deutlich darauf hin, dass dies das Zimmer einer Frau war, das Männer nur betreten durften, wenn sie ausdrücklich eingeladen worden waren.
»Wie geht es dir, Schönheit?«
In seiner Stimme lag echte Sorge um sie, und das genügte, um ihr wieder die Tränen in die Augen zu treiben, obwohl sie gedacht hatte, jetzt würde sie nicht mehr weinen müssen. »Ich bin unzufrieden mit mir, weil ich meine Sache so schlecht gemacht habe. Ich bin froh, dass du da warst und dich um sie gekümmert hast.«
»Ich auch.« Er sagte nichts weiter, denn er wusste, dass sie anfangen würde zu reden, wenn sie bereit dazu war, und er sie nicht zweimal darum bitten müsste. Und da sie allein schon seine Anwesenheit tröstete, redete sie mit ihm so offen wie nur mit ganz wenigen Menschen.
»Ich habe das alles in meinem Inneren bewahrt, fast dreißig Jahre lang, so wie ich Julia heimlich neun Monate lang in mir getragen habe.« Ihre Finger trommelten auf die Sessellehne. Aber selbst dieses leise Geräusch schien sie zu stören. Sie hörte damit auf und ließ ihre Hände ruhig auf der Lehne liegen. »Heimlich, voller Schmerzen und mit einer Verzweiflung, die ein Mann gar nicht begreifen kann. Ich habe immer gedacht, die Erinnerungen würden verblassen, wenn ich älter würde, zum Teufel, wenn ich alt würde. Wie mein Körper sich damals veränderte, diese Bewegungen in meinem Leib. Diese unglaubliche Erregung, sie aus meinem Körper heraus in die Welt zu stoßen. Aber das ist nicht der Fall.« Sie schloss die Augen. »Mein Gott, die Erinnerungen bleiben.«
Sie nahm eine Zigarette aus der Lackdose auf dem Tisch und ließ sie zweimal durch ihre Finger rollen, bevor sie sie anzündete. »Ich will gar nicht leugnen, dass ich ohne sie ein erfülltes, reiches, glückliches Leben geführt habe. Ich will gar nicht behaupten, dass ich jeden Tag meines Lebens um ein Kind trauerte, das ich nur eine Stunde in den Armen gehalten hatte. Und ich habe nie bedauert, das getan zu haben, was ich tat, aber ich habe es auch nie vergessen.«
Sie warf ihm einen flüchtigen Blick zu, der Ton ihrer Stimme
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