Erinnerung Des Herzens
rechne damit, dass es Heulen und Zähneknirschen bei der Nachricht von meinem Tode geben wird.«
Sie lächelte leicht, als sie mit dem Finger über ihre Stirn fuhr. »Diese Zeitbombe in meinem Gehirn ... Manchmal könnte ich schwören, dass ich sie ticken höre. Sie hat mich gezwungen, meiner Sterblichkeit ins Auge zu sehen, meinen Fehlern und meiner Verantwortung. Ich bin fest entschlossen, diese Welt ohne Bedauern zu verlassen. Sollten wir uns bis dahin nicht ausgesöhnt haben, Julia, so habe ich doch den Trost zu wissen, dass wir eine Zeitlang Freundinnen waren. Und ich weiß auch, dass du das Buch schreiben wirst. Wenn du etwas von meinem Eigensinn geerbt hast, wirst du vielleicht nicht mehr mit mir reden. Deshalb habe ich vorsichtshalber die anderen Bänder besprochen. Ich bin ganz sicher, dass ich dir nichts von Bedeutung vorenthalten habe.«
Eve drückte ihre Zigarette aus und ließ sich einen Augenblick Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. »Paul, ich muss dir nicht sagen, was du mir bedeutet hast. Fünfundzwanzig Jahre lang hast du mir eine bedingungslose Liebe und Treue geschenkt, die ich nicht immer verdient hatte. Du wirst ärgerlich sein, weil ich dir nichts von der Krankheit gesagt habe. Es mag egoistisch von mir gewesen sein, aber ich bin-der Meinung, dass ein inoperabler Gehirntumor eine sehr persönliche Angelegenheit ist. Ich wollte die Zeit, die mir noch blieb, genießen, ohne ständig beobachtet, gehätschelt oder bedauert zu werden. Erinnere dich daran, wieviel Spaß wir miteinander hatten. Du bist der einzige Mann in meinem Leben gewesen, der mir nie Kummer bereitet hat. Mein letzter Rat an dich ist, wenn du Julia liebst, laß es nicht zu, dass sie dir entwischt. Sie wird es vielleicht versuchen. Ich habe euch beiden den größten Teil meines Vermögens nicht nur deshalb hinterlassen, weil ich euch liebe, sondern auch, weil es euch verbinden wird. Ihr werdet in der nächsten Zeit miteinander auskommen müssen.«
Ihre Lippen zitterten kurz, bis sie sich wieder unter Kontrolle hatte. In ihren Augen glitzerten Tränen wie Regentropfen auf Smaragden. »Verdammt noch mal, schenkt mir weitere Enkelkinder. Ich wünsche mir, dass ihr das finden möget, was mir nie geglückt ist: Liebe, die nicht nur im Verborgenen, sondern auch im hellen Licht der Öffentlichkeit blühen kann, Julia, du bist das Kind, das ich liebte, aber nicht behalten konnte. Paul, du bist das Kind, das mir geschenkt wurde und das ich lieben durfte. Enttäuscht mich nicht.«
Sie warf den Kopf zurück und lächelte ein letztes Mal. »Und es würde mir nichts ausmachen, wenn ihr das erste Mädchen nach mir benennt.«
Das Band war zu Ende. Julia nahm einen großen Schluck Brandy, bevor sie sprechen konnte. »Sie war todkrank. Die ganze Zeit über war sie todkrank.«
Mit einer abrupten Bewegung schaltete Paul das Videogerät ab. Eve hatte recht gehabt. Er war verärgert, mehr noch, er war wütend. »Sie hatte nicht das Recht, es mir zu verheimlichen.« Mit geballten Fäusten sprang er auf und lief im Zimmer hin und her. »Vielleicht hätte ich ihr helfen können. Es gibt Spezialisten, eine holistische Medizin. Sogar wirkliche Heiler.« Er blieb stehen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Eve war tot, und es war nicht der Gehirntumor, der sie umgebracht hatte. »Aber das spielt jetzt kaum noch eine Rolle, oder? Wir sollten uns dieses Band anschauen, nachdem sie ruhig in einem Krankenhausbett gestorben war. Statt dessen ...«Er schaute zum Fenster hinüber. Vor seinem inneren Auge sah er Eve auf dem Teppich liegen.
»Doch, es spielt eine Rolle«, sagte Julia ruhig. »Alles spielt eine Rolle.« Sie stellte ihr Glas ab und stand auf. »Ich würde gern mit ihrem Arzt reden.«
»Warum?«
»Ich muss ein Buch über sie schreiben.«
Er trat einen Schritt auf sie zu, dann hielt er inne. Er war viel zu wütend, um das Risiko eingehen zu können, sie zu berühren. »Daran kannst du jetzt denken?«
Sie spürte die Bitterkeit, die ihn erfüllte. Aber sie konnte ihm jetzt nicht erklären, dass die einzige Möglichkeit, ihre Schuld an Eve zu begleichen, darin bestand, über sie zu schreiben und ihrem Leben damit Wert und Dauer zu verleihen. »Ja, ich muss daran denken.«
»Nun gut.« Er zog eine Zigarre hervor und zündete sie langsam an. »Wenn es noch in diesem Jahr herauskommt, kannst du an dem Mord an ihr profitieren und den Bestseller des Jahrzehntes herausgeben.«
»Ja«, sagte sie mit ausdruckslosem Blick. »Genau das erhoffe ich
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