Erinnerung Des Herzens
mir.«
Was immer er noch an Gehässigkeiten hatte sagen wollen, musste er unterdrücken, als irgendjemand forsch an die Tür klopfte. In dem Augenblick, als er sich abwandte, brach Julia fast zusammen. Sie presste den Handballen zwischen ihre Brauen und kämpfte verzweifelt um ihre Fassung, bis sie endlich einen Augenblick für sich allein sein konnte.
»Frank.«
»Es tut mir leid, Paul. Ich weiß, es ist ein harter Tag.« Frank stand auf der Schwelle. Weil er in offizieller Funktion gekommen war, trat er nicht ein, sondern wartete, bis er dazu aufgefordert wurde. »Travers hat mir gesagt, dass du und Miss Summers hier oben wäret.«
»Wir sind gerade in einer wichtigen Besprechung-. Hat es nicht Zeit bis später?«
»Ich fürchte, nein.« Er warf einen Blick über Pauls Schulder, dann senkte er seine Stimme. »Ich übertrete einige Vorschriften, Paul. Ich versuche, es so leicht wie nur möglich zu machen, aber es ist keine gute Nachricht.«
»Du hast eine Vorladung?«
Frank steckte die Hände in die Taschen. »Yeah, so könnte man sagen. Ich muss mit ihr reden, und ich kann die einzelnen Punkte nicht nur einmal mit ihr durchgehen.«
Am liebsten hätte er die Tür zugeschlagen, sich geweigert.
Als er zögerte, schüttelte Frank nur den Kopf. »Du würdest es nur schlimmer machen.«
Julia hatte ihre Selbstbeherrschung wieder erlangt. Sie drehte sich um, ihr Gesicht war ganz ruhig, und nickte Frank zu. »Lieutenant Needlemeyer.«
»Miss Summers, es tut mir leid, aber ich muss Ihnen noch weitere Fragen stellen.«
Ihr Magen rebellierte bei dem Gedanken daran, aber sie nickte noch einmal. »In Ordnung.«
»Wir müssen es in meinem Büro in der City erledigen.«
»In der City?«
»Ja, Madam.« Er zog eine Karte aus der Tasche. »Ich werde Ihnen Ihre Rechte vorlesen, aber zuvor möchte ich Ihnen raten, sich einen Anwalt zu nehmen. Einen guten.«
28
Sie hatte das Gefühl, in einem dieser Labyrinthe gefangen zu sein, die man in Vergnügungsparks finden kann. Immer, wenn sie glaubte, sie hätte den Ausweg gefunden, stieß sie wieder gegen eine glatte, schwarze Mauer.
Julia starrte in den großen Spiegel im Verhörraum. Sie trug noch das schwarze Kleid von der Beerdigung. Viel zu blaß hob sich ihr Gesicht von dem glatten Leinen ab, wie sie da saß an dem einzigen Tisch, auf einem harten Holzstuhl. Rauch erfüllte das Zimmer und stieg in blauen Schwaden zur Decke hoch. Drei Kaffeetassen standen auf dem Tisch. Die schwarze Brühe roch ebenso bitter wie sie schmeckte. Und dann waren da noch die beiden Männer in Hemdsärmeln, mit Abzeichen auf den Hemdentaschen.
Vorsichtig bewegte sie ihre Finger, verschränkte sie miteinander - und sah, wie ihr Spiegelbild dasselbe tat.
Was für eine Frau war sie, fragte sie sich. Was für einer Frau würden sie Glauben schenken?
Sie wusste, dass hinter dem Spiegel andere Gesichter waren, die sie anstarrten, durch sie hindurchschauten.
Sie hatten ihr einen Becher Wasser gegeben, aber sie schien plötzlich nicht mehr schlucken zu können. Es war zu warm hier. Unter dem dunklen Kleid war ihre Haut feucht geworden. Sie konnte ihre Angst förmlich riechen. Manchmal schwankte ihre Stimme bedenklich, aber es gelang ihr jedesmal, den Anflug von Hysterie zu unterdrücken.
Sie stellten ihre Fragen geduldig und hartnäckig. Sie waren so höflich, so außerordentlich höflich.
Miss Summers, Sie haben damit gedroht, Miss Benedict umzubringen.
Wussten Sie, dass sie ihr Testament geändert hatte, Miss Summers?
Miss Summers, ist Miss Benedict nicht zu Ihnen in das Gästehaus gekommen am Mordtag? Hatten Sie wieder Streit miteinander? Haben Sie da die Beherrschung verloren?
Egal, wie oft sie darauf antwortete, sie stellten die Fragen immer wieder, und sie musste immer wieder antworten.
Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren. Sie könnte sich erst eine Stunde lang in diesem kleinen Zimmer ohne Fenster befinden oder auch schon einen Tag. Sie stellte fest, dass ihre Gedanken gelegentlich abschweiften, ihre eigenen Wege einschlugen.
Sie hätte gern gewusst, ob Brandon sein Essen bekommen hatte. Sie hätte ihm helfen müssen, sich auf eine Prüfung in Geographie vorzubereiten. Sie antwortete, während sie im Geist diese kleinen Ausflüge in den normalen Alltag unternahm.
Ja, sie hatte sich mit Eve gestritten. Sie war ärgerlich und wütend gewesen. Nein, genau konnte sie sich an ihre Worte nicht mehr erinnern. Sie hatten nie darüber gesprochen, dass sie ihr Testament ändern wollte.
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