Erinnerung Des Herzens
dabei sind, könntest du nicht die Fluggesellschaften überprüfen lassen, um festzustellen, ob irgendjemand, der mit Eve in Verbindung stand, im vorigen Monat einen kurzen Abstecher nach London gemacht hat? So um den zwölften.«
»Kein Problem. Das kostet mich nur so zehn bis zwanzig Arbeitsstunden. Gibt es einen besonderen Grund dafür?«
»Ich werde es dich wissen lassen. Vielen Dank.«
Und jetzt, dachte Paul, als er den Hörer auflegte, musste er auf die Antworten warten, sie miteinander vergleichen und sehen, ob sie eine brauchbare Arbeitsgrundlage abgaben.
30
Es war ein langer Flug von Philadelphia bis Los Angeles. Auch ein Flug Erster Klasse konnte die Zeitverschiebung und die Reisemüdigkeit nicht aufheben. Aber Lincoln Hathoway sah aus, als käme er gerade von seinem Schneider. Sein marineblauer Gabardine-Anzug mit den schmalen, kreideweißen Streifen wies kaum ein Fältchen auf, und seine handgenähten Schuhe glänzten. Sein kurzgeschnittenes blondes Haar saß tadellos. Paul verabscheute ihn auf den ersten Blick, vielleicht wegen dieser nahtlosen Korrektheit. Der Gedanke gefiel ihm.
»Lincoln Hathoway«, sagte der Mann und streckte seine manikürte Hand aus. »Ich möchte Julia sehen.«
Es machte Paul Spaß, dass seine Handfläche sandig war. »Paul Winthrop.«
»Ja, ich weiß.« Lincoln hatte ihn nicht von den Umschlagbildern seiner Bücher erkannt. Er hatte keine Zeit, sich mit Unterhaltungsromanen zu beschäftigen. Aber seine Sekretärin hatte alles für ihn auftreiben müssen, was irgendwie mit Julia zusammenhing, besonders alles aus den letzten sechs Monaten. Er wusste, wer Paul war, und kannte seine Beziehungen zu dem Opfer und der Angeklagten. »Ich bin froh, dass Julia die Möglichkeit hat, diskret hier zu wohnen, bis wir mit der Sache fertig sind.«
»Ich mache mir eigentlich mehr Sorgen um ihren Seelenfrieden als um irgendeine Art von Diskretion.« Er ließ Lincoln ein und dachte, dass er es gründlich genießen wollte, ihn zu verabscheuen. »Möchten Sie einen Drink?«
»Ein wenig Mineralwasser wäre mir lieb, danke.« Lincoln war daran gewöhnt, sich rasch eine Meinung zu bilden. Manchmal war es notwendig, die Geschworenen vorwiegend nach ihrem Äußeren und nach ihrer Körpersprache zu beurteilen. Er schätzte Paul als einen reichen, ungeduldigen und misstrauischen Menschen ein und fragte sich, wie er diese Eigenschaften am besten nutzen konnte, wenn der Fall vor Gericht kam. »Mr. Winthrop, wie geht es Julia?«
Paul drehte sich um und reichte ihm das Glas. »Warum fragen Sie sie nicht selber?«
Sie stand in der Tür und hatte schützend den Arm um ein mageres, dunkeläugiges Kind gelegt. Sie hatte sich in diesen zehn Jahren verändert, dachte Lincoln. Sie strahlte nicht mehr Enthusiasmus und Vertrauen aus, sondern Gleichmut und Vorsicht. Das rehbraune Haar, das sie früher offen getragen hatte, war jetzt aus dem Gesicht gekämmt, und dieses Gesicht war schmaler und eleganter geworden.
Er schaute den Jungen an, wobei er kaum merkte, dass sie alle vier schweifend und voller innerer Spannung dastanden. Er suchte nach irgendeiner Ähnlichkeit zwischen sich und dem Jungen, den er nie gesehen und nie gewollt hatte. Aber er erkannte in diesem schmalen Kind mit den zerzausten Haaren nichts von sich wieder. Das erleichterte ihn und fegte das Schuldgefühl und seine Besorgnis, die ihn während des Fluges nach Westen bewegten, hinweg. Es war sein Junge - Lincoln hatte nie daran gezweifelt - und doch nicht sein Junge. In dem kurzen Augenblick, den er ihn anschaute, einschätzte und ablehnte, spürte er, dass seine Welt wieder in Ordnung war, und seine Familie und sein Selbstgefühl nicht gefährdet waren.
Julia hatte das alles genau wahrgenommen, die Art, wie er Brandon angesehen, kurz geschwankt und ihn dann abgelehnt hatte. Sie drückte Brandon fest an sich, als müsse sie ihn vor einem Angriff bewahren. Dann entspannte sie sich. Ihr Sohn war in Sicherheit. Die leisesten Zweifel darüber, ob sie ihm nicht doch sagen sollte, wer sein Vater war, verschwanden. Sein Vater war tot für sie beide.
»Lincoln.« Ihre Stimme klang kühl und reserviert, als sie ihm zur Begrüßung kurz zunickte. »Es ist nett von dir, dass du so schnell gekommen bist.«
»Ich bedauere nur den Anlass.«
»Ich auch.« Sie glitt mit der Hand über Brandons Schulter.
»Brandon, das ist Mr. Hathoway. Er ist Rechtsanwalt und hat vor langer Zeit mit Großpapa zusammengearbeitet. Er ist gekommen, um uns zu
Weitere Kostenlose Bücher